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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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«Sie müssen wissen, es ist ein etwas kindisches Gefühl. Aber er und Ihre Mutter waren fast unzertrennlich. Im Heim hat man sie geneckt, man sagte zu Pérez: ‹Das ist Ihre Braut.› Er lachte. Das machte ihnen Spaß. Und tatsächlich ist ihm Madame Meursaults Tod sehr nahegegangen. Ich dachte, ich dürfte ihm die Erlaubnis nicht verwehren. Aber auf Anraten des Hausarztes habe ich ihm die gestrige Totenwache verboten.»
    Wir haben ziemlich lange geschwiegen. Der Heimleiter ist aufgestanden und hat aus dem Bürofenster gesehen. Irgendwann hat er festgestellt: «Da ist schon der Pfarrer von Marengo. Er ist zu früh da.» Er hat mich darauf hingewiesen, dass man zu Fuß mindestens eine Dreiviertelstunde bis zur Kirche brauchte, die im Dorf selbst wäre. Wir sind hinuntergegangen. Vor dem Gebäude waren der Pfarrer und zwei Chorknaben. Der eine hielt ein Weihrauchfass, und der Pfarrer bückte sich zu ihm hinunter, um die Länge der silbernen Kette zu regulieren. Als wir gekommen sind, hat der Priester sich wieder aufgerichtet. Er hat mich «mein Sohn» genannt und mir ein paar Worte gesagt. Er ist hineingegangen; ich bin ihm gefolgt.
    Ich habe sofort gesehen, dass die Schrauben am Sarg festgezogen waren und dass vier schwarze Männer in dem Raum waren. Ich habe den Heimleiter zu mir sagen hören, dass der Wagen auf der Straße wartete, und gleichzeitig den Priester seine Gebete beginnen hören. Von diesem Moment an ist alles sehr schnell gegangen. Die Männer haben sich dem Sarg mit einem Tuch genähert. Der Priester, sein Gefolge, der Heimleiter und ich sind hinausgegangen. Vor der Tür stand eine Dame, die ich nicht kannte. «Monsieur Meursault», hat der Leiter gesagt. Ich habe den Namen dieser Dame nicht verstanden und habe nur begriffen, dass sie die diensthabende Krankenpflegerin war. Sie hat ohne ein Lächeln ihr knochiges, langes Gesicht geneigt. Dann sind wir beiseitegetreten, um die Leiche vorbeizulassen. Wir sind den Trägern gefolgt und haben das Heim verlassen. Vor dem Tor stand der Wagen. Lackiert, länglich, glänzend, erinnerte er an einen Federkasten. Daneben standen der Ordner, ein kleiner Mann in lächerlicher Kleidung, und ein unbeholfen wirkender Alter. Ich habe gleich gewusst, dass es Monsieur Pérez war. Er trug einen weichen Filzhut mit runder Kappe und breiter Krempe (er hat ihn abgenommen, als der Sarg durch das Tor gekommen ist), einen Anzug, dessen Hose sich in Ziehharmonikafalten auf den Schuhen staute, und eine Fliege aus schwarzem Stoff, die für sein Hemd mit großem weißem Kragen zu klein war. Seine Lippen bebten unter einer mit Mitessern gespickten Nase. Sein ziemlich feines weißes Haar ließ merkwürdige, ausgefranste Schlappohren frei, deren blutrote Farbe in diesem fahlen Gesicht mich überraschte. Der Ordner wies uns unsere Plätze zu. Der Pfarrer ging vornweg, dann kam der Wagen. Um ihn herum die vier Männer. Dahinter der Heimleiter, ich und, den Zug beschließend, die diensthabende Pflegerin und Monsieur Pérez.
    Der Himmel war schon voll Sonne. Sie begann auf die Erde zu drücken, und die Hitze nahm schnell zu. Ich weiß nicht, warum wir ziemlich lange gewartet haben, bevor wir uns in Bewegung setzten. Mir war heiß in meiner dunklen Kleidung. Der kleine Alte, der seinen Hut wieder aufgesetzt hatte, nahm ihn wieder ab. Ich hatte mich ein wenig zu ihm umgewandt und sah ihn an, als der Heimleiter von ihm gesprochen hat. Er hat mir gesagt, dass meine Mutter und Monsieur Pérez abends oft von einer Pflegerin begleitet bis zum Dorf spazierten. Ich sah die Landschaft um mich her an. Bei den Zypressenreihen, die zu den Hügeln am Himmel führten, diesem rotbraunen und grünen Land, diesen vereinzelten, klar gezeichneten Häusern verstand ich Mama. Der Abend musste in dieser Gegend wie eine melancholische Atempause sein. Heute machte die übermäßige Sonne, unter der die Landschaft erzitterte, sie unmenschlich und deprimierend.
    Wir haben uns in Bewegung gesetzt. In dem Moment habe ich bemerkt, dass Pérez leicht hinkte. Der Wagen gewann allmählich an Fahrt, und der alte Mann verlor an Boden. Einer der Männer, die neben dem Wagen gingen, hatte sich auch überholen lassen und ging jetzt auf meiner Höhe. Ich war überrascht von der Schnelligkeit, mit der die Sonne am Himmel stieg. Ich habe gemerkt, dass das Land schon lange vom Zirpen der Insekten und vom Knistern von Gras summte. Schweiß lief mir über die Wangen. Weil ich keinen Hut hatte, fächelte ich mir mit meinem

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