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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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deswegen trotzdem verstehen.
    Das Aufstehen ist mir schwergefallen, weil ich vom gestrigen Tag müde war. Beim Rasieren habe ich mich gefragt, was ich tun sollte, und habe beschlossen, baden zu gehen. Ich habe die Straßenbahn genommen, um zur Badeanstalt am Hafen zu fahren. Dort habe ich mich ins Getümmel gestürzt. Es waren viele junge Leute da. Im Wasser habe ich Marie Cardona wiedergetroffen, eine frühere Sekretärin aus meinem Büro, auf die ich damals scharf war. Sie auch auf mich, glaube ich. Aber sie ist wenig später ausgeschieden, und wir haben keine Gelegenheit gehabt. Ich habe ihr geholfen, auf eine Boje zu steigen, und bei dieser Bewegung habe ich ihre Brüste gestreift. Ich war noch im Wasser, als sie schon bäuchlings auf der Boje lag. Sie hat sich zu mir umgedreht. Das Haar hing ihr in die Augen, und sie lachte. Ich habe mich neben sie auf die Boje gehievt. Es tat gut, und ich habe wie zum Spaß den Kopf nach hinten sinken lassen und auf ihren Bauch gelegt. Sie hat nichts gesagt, und ich bin so liegen geblieben. Ich hatte den ganzen Himmel in den Augen, und er war blaugolden. Unter meinem Nacken fühlte ich Maries Bauch leise pochen. Wir sind lange auf der Boje geblieben, halb eingeschlafen. Als die Sonne zu stark wurde, ist sie ins Wasser gesprungen und ich hinterher. Ich habe sie eingeholt, habe die Hand um ihre Taille gelegt, und wir sind zusammen geschwommen. Sie lachte immerzu. Auf dem Kai hat sie, während wir uns abtrockneten, zu mir gesagt: «Ich bin brauner als Sie.» Ich habe gefragt, ob sie abends mit ins Kino kommen wollte. Sie hat wieder gelacht und gesagt, sie hätte Lust, einen Film mit Fernandel zu sehen. Als wir uns anzogen, hat sie sehr überrascht gewirkt, mich mit einem schwarzen Schlips zu sehen, und hat gefragt, ob ich in Trauer wäre. Ich habe ihr gesagt, dass Mama tot wäre. Da sie wissen wollte, seit wann, habe ich geantwortet: «Seit gestern.» Sie ist ein bisschen zusammengezuckt, hat aber keine Bemerkung dazu gemacht. Ich hätte ihr am liebsten gesagt, dass es nicht meine Schuld wäre, habe aber an mich gehalten, weil ich dachte, dass ich es schon zu meinem Chef gesagt hatte. Das bedeutete nichts. Man ist sowieso immer ein bisschen schuldig.
    Am Abend hatte Marie alles vergessen. Der Film war dann und wann komisch und dann wieder wirklich zu dumm. Sie hatte ihr Bein an meinem. Ich streichelte ihre Brüste. Gegen Ende der Vorstellung habe ich sie geküsst, aber schlecht. Nach dem Kino ist sie mit zu mir gekommen.
    Als ich aufgewacht bin, war Marie weg. Sie hatte mir erklärt, sie müsste zu ihrer Tante. Ich habe gedacht, dass Sonntag war, und das hat mich angeödet: Ich mag den Sonntag nicht. Also habe ich mich im Bett umgedreht, habe im Kopfpolster den Salzgeruch gesucht, den Maries Haar darin hinterlassen hatte, und habe bis zehn Uhr geschlafen. Ich habe dann Zigaretten geraucht, immer noch im Bett, bis mittags. Ich wollte nicht bei Céleste essen wie sonst, weil sie mir bestimmt Fragen gestellt hätten, und das mag ich nicht. Ich habe mir Spiegeleier gemacht und sie direkt aus der Pfanne gegessen, ohne Brot, weil ich keins mehr hatte und nicht hinuntergehen wollte, um welches zu kaufen.
    Nach dem Essen habe ich mich ein bisschen gelangweilt und bin in der Wohnung herumgewandert. Sie war bequem, als Mama da war. Jetzt ist sie zu groß für mich, und ich habe den Esszimmertisch in mein Zimmer räumen müssen. Ich wohne nur noch in diesem Zimmer, zwischen den etwas durchgesessenen Strohstühlen, dem Schrank, dessen Spiegel gelb verfärbt ist, dem Toilettentisch und dem Messingbett. Das Übrige ist verwahrlost. Etwas später habe ich, um irgendetwas zu tun, eine alte Zeitung genommen und habe sie gelesen. Ich habe eine Werbung für Kruschen-Salz ausgeschnitten und sie in ein altes Heft eingeklebt, in dem ich die Sachen sammle, die mich in der Zeitung amüsieren. Ich habe mir auch die Hände gewaschen, und schließlich bin ich auf den Balkon getreten.
    Mein Zimmer geht auf die Hauptstraße der Vorstadt hinaus. Der Nachmittag war schön. Doch das Pflaster war glitschig, vereinzelt Leute und noch in Eile. Zuerst Familien, die einen Spaziergang machten, zwei kleine Jungen im Matrosenanzug, mit Hosen bis unter das Knie, etwas von ihrer steifen Kleidung eingeengt, und ein kleines Mädchen mit einer großen rosa Schleife und schwarzen Lackschuhen. Hinter ihnen eine ungeheuer dicke Mutter in braunem Seidenkleid und der Vater, ein ziemlich schmächtiger kleiner Mann, den ich vom

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