Der Fremde ohne Gesicht
Kürzeren.«
Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie kramte in ihrer Handtasche und reichte Marcia die Uhr, die Sharman ihr gegeben hatte. »Kannst du damit etwas anfangen?«
Marcia betrachtete die Uhr durch die klare Plastikfolie hindurch. »Willst du mir damit zu verstehen geben, dass ich mich allmählich zur Ruhe setzen sollte?«
Sam lächelte. »Das sage ich dir doch schon seit einer Ewigkeit. Sharman hat sie mir gegeben. Er hat sie unter der Leiche des Mädchens gefunden und ist sicher, dass sie ihr gehörte.«
»Trug sie sie am Handgelenk?«
»Nein, sie lag unter ihrem Hintern.«
»Seltsame Art, so eine Uhr zu tragen.«
»Möglicherweise wollte sie sie verstecken.«
Marcia nickte. »Könnte sein. Glaubst du, dass ihr Tod im Zusammenhang mit einem Raubüberfall steht?«
»Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Auf jeden Fall fanden sich außer der Uhr keine besonderen Gegenstände aus ihrem Besitz am Tatort.«
»Was soll ich damit machen?«
Sam drehte die Uhr in Marcias Hand herum. »Schau hier. Jemand hat versucht, eine Inschrift oder so etwas wegzufeilen. Ich habe mich gefragt, ob es wohl eine Möglichkeit gibt, die Inschrift wieder sichtbar zu machen. Vielleicht würde uns das einen Hinweis geben.«
Marcia musterte die Rückseite der Uhr eingehend. »Vielleicht, mal sehen. Ich versuche es erst einmal mit ultraviolettem Licht.«
»Und wenn das nichts bringt?«
»Es gibt noch ein paar andere Möglichkeiten. Könnte allerdings bedeuten, dass ich meinen Körper verkaufen muss.«
Sam tat schockiert. »Marcia, wie kannst du nur?«
Marcia sah sie an. »Dann willst du also nicht, dass ich es tue?«
»Aber natürlich, wenn das nötig ist, aber verkauf dich nicht unter Preis.«
Die beiden Frauen brachen in Gelächter aus und verspürten zum ersten Mal seit Beginn der Ermittlung einen Hoffnungsschimmer.
Die hektische Aktivität, die noch vor kurzem um das Haus der Clarkes geherrscht hatte, war verebbt, obwohl ihre Spuren noch überall zu sehen waren. Reste von schwarz-gelbem Absperrband flatterten im leichten Wind oder hingen an Laternenpfählen und Zweigen. Die Kegel, mit denen er dem jungen Constable das Leben schwer gemacht hatte, waren immer noch da. Sharman grinste vor sich hin. Vielleicht war er ein bisschen zu hart gewesen. Aber es konnte nicht schaden. Vielleicht brachte das dem vorlauten Kerlchen etwas Respekt bei. Davon gab es seiner Meinung nach heutzutage viel zu wenig bei der Polizei.
Er parkte seinen Wagen vor dem Haus, zog ein Blatt Papier aus seiner Aktentasche und studierte es aufmerksam. Michael John Rogers. Geboren am 11. November 1960 in London. 1,86 groß, Gewicht 92 Kilo. Blaue Augen, braune Haare. Nummer 4356/78 im nationalen Kriminellenregister. Sharman war beeindruckt von der Vorstrafenliste des Mannes. Der Akte zufolge war er seit seinem achtzehnten Lebensjahr polizeibekannt, doch er vermutete, dass er schon vorher das Gesetz übertreten hatte. Diebstahl, Einbruch, Autodiebstahl, Betrug, schwere Körperverletzung. Doch die beiden Verurteilungen, für die sich Sharman am meisten interessierte, waren diejenigen wegen sexueller Belästigung und zwei weitere wegen Vergewaltigung. Was Sharman nicht begreifen konnte, war, wie so jemand dazu kam, für so ein hohes Tier wie Clarke zu arbeiten.
Er stieg aus dem Wagen und ging hinter das Haus, wo Rogers seine Wohnung hatte. Als er den Garten betrat, warf er einen Blick zurück auf das Haus. Es war wirklich eindrucksvoll. Zum zweiten Mal an diesem Tag sah er etwas, das ihm gefiel, das er sich aber nicht leisten konnte. Dann erinnerte er sich, wie er Sam beobachtet hatte, als sie zurück zu ihrem Haus gegangen war. Okay, zum dritten Mal. Er erreichte die Wohnung an der Rückseite des Hauses und klopfte. Kurz darauf wurde die Tür von einem Mann geöffnet, auf den Rogers’ Beschreibung passte. Er starrte Sharman abweisend an. »Was wollen Sie?«
Sharman zwang sich zu einem Lächeln. Der Kerl war ihm unsympathisch. Es fiel ihm schwerer, als er dachte. »John Heep, Daily Mail. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Rogers beugte sich vor, bis sein Gesicht nur noch eine Handbreit von Sharmans entfernt war. »Verpissen Sie sich, ich rede nicht mit der Presse.«
Sharman hatte Mühe, sich davon abzuhalten, dem Mann das Gesicht einzuschlagen. Doch es gelang ihm trotz der Wut in seinem Bauch, sich zu beherrschen. »Ich bin ermächtigt, Ihnen fünfzigtausend Pfund für Ihre Geschichte
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