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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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vielleicht beleidigt abziehen oder, schlimmer noch, eine Aktzeichnung von Jean anfertigen. Dieser letzte Gedanke gab den Ausschlag für Sam. »Bitten Sie ihn herein.«
    Jean winkte ihn ins Zimmer. »Kaffee?«
    Er sah Jean überrascht an. »Ich versuche es zu vermeiden, meinen Körper zu vergiften. Hätten Sie Wasser? In Flaschen, meine ich?«
    Sie machte ein verdattertes Gesicht. »Ich schaue mal, ob ich etwas finde.« Mürrisch wandte sie sich an Sam. »Kaffee für Sie, Doktor?«
    Sam nickte. »Ja bitte, Jean. Mit extra viel Gift.«
    Jean ging und Hudd setzte sich Sam gegenüber und schaute sich mit jener Haltung selbstbewusster Überlegenheit in dem Büro um, wie man sie nur auf Internaten und im Laufe eines Oxbridge-Studiums entwickelt. Schließlich sah er Sam an und lächelte. »Rauchen Sie?«
    Sam schüttelte den Kopf. »Nein, warum? Möchten Sie eine Zigarette? Jean könnte sicher –«
    Hudd unterbrach sie. »Nein, ich rauche nicht. Ich habe mich nur gefragt, ob Sie Ihrem Organismus noch andere Giftstoffe zuführen.«
    Sam erwiderte sein Lächeln. »Gerade so viel, um bei Verstand zu bleiben.«
    »Man sollte meinen, Ärzte und Pathologen würden Dingen aus dem Weg gehen, die sich negativ auf ihre Gesundheit auswirken. Zumal sie ja mit eigenen Augen sehen, welche Schäden sie anrichten, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Sie fand seine Bemerkungen ziemlich herablassend, vermutete aber, dass er gar nicht merkte, wie sein Tonfall wirkte. »Ich verstehe durchaus, was Sie meinen. Nach meiner Erfahrung sind die Leute mit medizinischen Berufen die Schlimmsten.«
    Diesmal machte Hudd ein erschrockenes Gesicht. »Wirklich? Sie überraschen mich.«
    Dann wechselte er das Thema, fast als langweilte ihn das Gespräch plötzlich. »Wo ist die Leichenhalle?«
    »Im Keller. Ich führe sie gleich hin. Vorher würde ich nur gern ein paar Dinge mit Ihnen besprechen.«
    Er zeigte keinerlei Interesse an Sams »paar Dingen«. »Haben Sie im Moment viele Leichen hier?«
    Sam hatte ihn bezüglich des Zustandes der Leiche des unbekannten Mädchens vorwarnen wollen, doch sie fand sein Benehmen so ärgerlich, dass sie beschloss, es ihn selbst herausfinden zu lassen. Die meisten Leute gerieten bei einem derartigen Anblick aus der Fassung, doch der Gestank machte sie alle fertig. Der Geruch einer verwesenden Leiche konnte so durchdringend sein, dass er manchmal im ganzen Krankenhaus den Leuten in die Nase stieg. »Volles Haus. Liegt an der Jahreszeit.«
    Hudd lachte. »Volles Haus. Eigenartige Umschreibung für eine Leichenhalle.«
    Jean erschien mit dem Kaffee und einer Flasche stillem Wasser. Hudd nahm sie ohne ein Wort des Dankes und studierte das Etikett. Während Jean vor Zorn rot anlief, wandte er sich an Sam. »Das reicht. Gehen wir jetzt hinunter in die Leichenhalle, Doktor, ich meine Sam?«
     
    Fred hatte schon alles vorbereitet, als Hudd und Sam in der Leichenhalle eintrafen. Die Leiche des Mädchens hatte er auf der ausfahrbaren Lade liegen lassen, die es ermöglichte, die Leichen leicht aus den Kühlfächern und wieder hinein zu befördern. Auf diese Weise ließ sich das Geruchsproblem einigermaßen in den Griff bekommen.
    Sam sah zu ihrem Assistenten hinüber. »Alles bereit, Fred?«
    Er nickte. »Wie besprochen, Dr. Ryan.«
    Sie wandte sich an Hudd. »Sagen Sie einfach, wenn Sie so weit sind.« Sie sah an seinem Gesicht, dass der Gestank ihrem Künstler bereits zu schaffen machte. Da ihre Verärgerung über ihn noch nicht verflogen war, beschloss sie, nichts weiter zu sagen. Hudd versuchte, seine selbstbewusste Haltung zu wahren, doch die Mühe, die ihn das kostete, war nicht zu übersehen. Schließlich nickte er Fred zu, der langsam das Tuch wegzog, mit dem die Leiche abgedeckt war. Hudds Augen weiteten sich und die Lider begannen zu flattern. Er wurde bleich und zitterte. Sam winkte Fred, der rasch um die Leiche herumging und Hudds Arm ergriff, während sie ihm die Wasserflasche abnahm und für ihn öffnete. Nachdem er einen großen Schluck genommen hatte, reichte er ihr die Flasche zurück. Von seiner überlegenen Gleichgültigkeit war nichts mehr zu spüren. »Danke, es geht gleich wieder. Der Schock war doch größer, als ich erwartet hatte.«
    Sam nickte verständnisvoll, während sie sich insgeheim freute, dass seine Arroganz eine Delle abbekommen hatte.
    »Ich dachte, Sie wären es gewohnt, Leichen zu sehen. Das gehört doch zu Ihrer künstlerischen Tätigkeit?«
    »Nicht in diesem Zustand«, entgegnete Hudd

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