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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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kopfschüttelnd. »Ich habe es nur mit Schädeln zu tun. Alte, saubere Knochen. Nicht so etwas. Ich hatte nicht erwartet …«
    Ein Anflug echten Mitgefühls für ihn überkam sie. »Möchten Sie hinausgehen und etwas frische Luft schnappen?«
    »Nein, schon gut. Ich bin gleich wieder auf den Beinen. Es ist nur der Geruch.« Hudd schauderte, aber er gab sich nicht geschlagen.
    Fred ließ vorsichtig seinen Arm los, während er wieder zu Kräften kam. Schließlich hob er die Hand und Fred entfernte sich. Sam sah, dass es ihn eine ungeheure Anstrengung kostete, doch er wandte langsam sein Gesicht den Überresten des Mädchens zu. Diesmal schaute er nicht weg, aber seine Stimme zitterte immer noch, als er sagte: »Ich muss ein paar Skizzen machen.«
    Sam bewunderte die Standhaftigkeit, mit der er sich zusammenriss. »Gut. Ich kann Ihnen auch ein paar Fotos geben, wenn das etwas hilft?«
    »Nein, ich muss zeichnen. Ich werde mich beeilen.«
    Sie nickte. Allmählich wuchs ihr Respekt vor Hudd. Vielleicht war er doch nicht nur das arrogante kleine Weichei, für das sie ihn gehalten hatte. Vieles davon mochte nur Fassade sein. So wie bei dem ganzen Oxbridge-Haufen.
    »Ich schlage vor, Sie ziehen einen Kittel über. Der Geruch setzt sich leicht in der Kleidung fest.«
    »Wie Zigarettenrauch?«
    »Genau wie Zigarettenrauch«, bestätigte Sam.
    Hudd schien plötzlich das Interesse an Sam und allem anderen um ihn her verloren zu haben und sich nur noch auf den Schädel der jungen Frau zu konzentrieren. Dann streckte er zu Sams Überraschung die Hände aus und legte sie auf das, was von dem Kopf und dem Gesicht noch übrig war. Sie trat rasch vor und legte ihm eine Hand auf den Unterarm, um ihn zurückzuhalten. Doch er lehnte die Gummihandschuhe ab, die sie ihm anbot. Sie würden seinen Tastsinn trüben, meinte er. Selbst als Sam ihn auf die Risiken und die Hygienevorschriften hinwies, weigerte er sich und sagte, es sei sein Risiko und seine Entscheidung, für die er die volle Verantwortung übernehme.
    Er strich über die Stirn und die Wangen der Frau, wobei seine Finger hin und wieder unter die dünnen Hautschichten fuhren, die noch lose am Gesichtsskelett hingen. Mit einer Hand strich er durch die verbliebenen Haarsträhnen und versuchte sie wieder anzubringen, als sie an seinen Fingern hängen blieben und sich lösten. Fred sah Sam an und hob eine Augenbraue, doch sie ignorierte ihn. Sie war völlig versunken und fasziniert von Hudds Vorgehen. Seine Hand schob sich von ihren Haaren zum Rand ihres Gesichts und tastete die Linie ihres Kiefers und des Halses ab. Dann bewegten sich die Finger langsam hinüber zu den Überresten ihres Mundes. Ein Teil ihrer Lippen gab unter seiner leichten Berührung nach und fiel ins Innere des Schädels. Sam blickte auf und musterte sein Gesicht, als wollte sie seine Gedanken lesen. Zu ihrer Überraschung, hatte er die Augen fest geschlossen, während er versuchte, sich alles durch bloße Berührung einzuprägen. Schließlich erreichten seine Hände die Augenhöhlen. Zuerst fuhren seine Fingerspitzen langsam über die Ränder, dann hielt er inne, als ob ihn das, was er als Nächstes würde tun müssen, mit Grauen erfüllte. Dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen und schob seine Finger langsam in die Augenhöhlen, um das finstere Innere des Schädels zu ertasten. Der Knochen im Innern war rau, an manchen Stellen hingen noch Reste verwesenden Fleisches. Schließlich zog er die Finger wieder heraus und legte die Hände sanft um die Wangen des Mädchens, wo er sie für einen Moment ruhen ließ, als wollte er ihr innerstes Wesen erspüren. Dann zog er seine Hände zurück, ebenso abrupt, wie er begonnen hatte. Er sah Sam an. »Kann ich mich irgendwo waschen?«
    Sam zeigte ihm den Weg zum Umkleideraum, wo er einige Zeit an seinen Händen herumschrubbte. Währenddessen warf er einen Blick zu Sam hinüber. »Ich weiß nicht, ob ich meine Hände je wieder sauber kriege.«
    Sie lächelte mitfühlend. »Warum mussten Sie ihr Gesicht so abtasten?«
    Er wandte sich wieder dem Becken zu, immer noch kräftig schrubbend. »Ich musste sie kennen lernen. Wenn ich ihr gerecht werden will, muss ich sie kennen. Es war die einzige Möglichkeit.«
    Sam musste zugeben, dass sie es immer noch nicht ganz verstand. »Hätten Sie sie nicht einfach zeichnen können?«
    »Das werde ich tun, aber das allein wäre nicht genug. Ich wollte jede Linie, jede Unebenheit an ihrem Schädel kennen lernen. Ich könnte ihr nicht

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