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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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in dem es nicht zumindest einige Stellen gab, die sich nur mit Hilfe von Superlativen beschreiben ließen. Sie alle waren auf ihre Art überwältigend schön. Während sie das John’s College durch die Baumreihe am Straßenrand hindurch bewunderte, drang Sharmans Stimme an ihr Ohr.
    »Haben Sie ihm geglaubt?«
    Einen Moment lang wusste sie nicht genau, von wem er redete. Dann fiel der Groschen. »Ja, natürlich habe ich ihm geglaubt. Warum auch nicht?«
    Sharman war sich da offensichtlich nicht so sicher. »Kommt mir einfach komisch vor. Wer zum Teufel hätte denn wissen können, dass er die Büste für uns anfertigte? Und hatte dann auch noch die Ortskenntnis und die Entschlossenheit, in sein Zimmer einzubrechen und die Büste zu zerstören? Dabei muss er doch gewusst haben, dass uns das allenfalls vorübergehend aufhalten kann.«
    »Wer weiß? Aber ich glaube nicht, dass Hudd etwas damit zu tun hatte. Warum hätte er sonst die Fotos gemacht? Die sind doch eigentlich alles, was wir brauchen.«
    Sharman war immer noch unsicher. »Wahrscheinlich haben sie Recht. Aber es kommt mir nach wie vor komisch vor.«
    Auf dem Weg zum Krankenhaus bog Sharman plötzlich unerwartet ab und schlug eine andere Richtung ein.
    »Wohin fahren wir?«, fragte Sam ihn verdutzt.
    »In meine Wohnung«, erwiderte er, ohne sie anzusehen.
    »Darf ich fragen, warum?« Sie hoffte, dass sie sich nicht so erschrocken anhörte, wie sie sich fühlte.
    »Keine Sorge, Doktor. Ich kenne meine Wohnung, Sie sind da ganz sicher.«
    Sam gab sich Mühe, empört auszusehen. »Das habe ich nicht gemeint!«
    »Oh doch, das haben Sie. Der Grund, warum ich Sie mit zu mir nehme, ist, dass ich Ihnen etwas zeigen möchte, das Sie vielleicht interessieren wird. Ich würde gerne Ihre Meinung hören.«
    Sie nickte, aber Sharman spürte, dass sie immer noch beunruhigt war.
    »Glauben Sie mir, Sam, wenn ich an Ihr Haus denke, dann lasse ich Sie meine Höhle nur sehen, weil ich denke, dass es wichtig ist. Andernfalls würde ich mir diese Peinlichkeit ersparen.«
    Die Erwiderung beschämte sie. »Okay, dann sehen wir mal, was Sie haben.«
    Sie brauchten keine zehn Minuten bis zu Sharmans Wohnung. Der Gegensatz zwischen der imposanten Kulisse der Colleges und den einigermaßen trostlosen Mietshäusern in diesem Viertel war krass. Obwohl es Nischen gab, wo die Bewohner sich offensichtlich Mühe gegeben hatten, die Anlagen so gut wie möglich in Schuss zu halten, lag über der ganzen Gegend eine Atmosphäre des Verfalls, die alles zu durchdringen schien.
    Sharmans Wohnung lag im dritten Stock einer Mietskaserne, die sich »Martin Luther King Towers« nannte. Sie befand sich in einer der besseren Ecken und wurde rund um die Uhr von einem Wachmann und einem Arsenal von Videokameras überwacht. Die Wohnung war eleganter und interessanter, als Sam erwartet hatte. Sie traute Polizisten im Allgemeinen nicht viel Geschmack und Fantasie zu und vermutete, dass ihre Wohnungen entsprechend aussahen. Doch für Sharmans Heim traf das nicht zu. Es war hell und luftig, und Tapeten, Teppiche und Vorhänge waren geschmackvoll aufeinander abgestimmt. An den Wänden hingen moderne Gemälde, auf den Regalen standen außergewöhnliche Gläser und Stücke aus Porzellan, und in der Küche fand sie über ein Dutzend Kochbücher. Das Interessanteste jedoch waren die unzähligen kleinen und großen angemalten Zinnfiguren, die überall in der Wohnung regimentweise angeordnet waren. Außerdem sah sie etliche Pokale und Medaillen, die von verschiedenen Malwettbewerben in England und fast jedem europäischen Land stammten.
    Sharman ging in die Küche und setzte den Kessel auf. »Kaffee?«
    Sie blickte auf. »Ja, bitte!« Sie beschloss, ihn ein bisschen aufzuziehen. »Ich wusste gar nicht, dass Sie mit Soldaten spielen, Stan. Sind Sie nicht ein bisschen zu alt dafür?«
    Er kam zurück ins Zimmer. »Ich spiele nicht mit ihnen, das überlasse ich den Kriegsspiel-Fans. Ich male sie nur an. Das entspannt mich. Beruhigt meinen Geist.«
    Er trat an ein Bücherregal, auf dem viele der Soldaten standen, nahm einen besonders farbenfrohen Kavallerieoffizier in die Hand und reichte ihn Sam.
    »Sehr hübsch. Kein Wunder, dass Sie so viele Pokale gewinnen.«
    »Siebzehntes Lancer-Regiment, 1854. Angriff der Leichten Brigade. Eines der schlimmsten militärischen Desaster, die je ein britisches Kavallerie-Regiment erlitt, und doch eine der berühmtesten Schlachten von allen.«
    »Eine halbe Meile, eine halbe Meile,

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