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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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Büste und besserte hier und dort noch etwas aus, um ihr den letzten Schliff zu geben. Dr. Ryan sollte mit seiner Arbeit zufrieden sein. Doch je länger er die Büste betrachtete, desto unzufriedener wurde er selbst. Etwas fehlte noch. Er wusste nicht genau, was es war, aber es war wie bei Pu, dem Bären: Je mehr er schaute, desto mehr war es nicht da. Trotzdem war er sicher, dass es ein gutes Abbild war und zumindest helfen würde, das arme Mädchen zu identifizieren. Sie hatte wirklich großartig ausgesehen. Was für eine Schande. Er wusste, dass es Dinge gab, die selbst er mit seinem Genie nicht herausfinden konnte, und er machte sich Gedanken darüber. Welche Farbe hatten wohl ihre Augen gehabt? Wie lang und dicht war ihr Haar gewesen? Wie hatte es ausgesehen, wenn sie lächelte?
    Auch über ihre Persönlichkeit begann er nachzudenken. War sie ein fröhlicher, unbeschwerter Mensch gewesen? Wen hatte sie geliebt und von wem war sie geliebt worden? Sie war ungefähr in seinem Alter gewesen. Hätte er sie lieben können, als sie noch lebte? Er zweifelte nicht daran. Aber hätte sie ihn lieben können? Den meisten Frauen fiel das nicht schwer. Es war der Künstler in ihm, das wusste er. Nun, das und sein jungenhaft gutes Aussehen natürlich. So bizarr es auch war, Fiona hatte Recht gehabt. Er war drauf und dran, sich in dieses Mädchen, dieses tote Mädchen zu verlieben. Wie ein Mann, der von einem Gemälde besessen ist, war er verliebt in ein Bild und bekam es nicht wieder aus dem Kopf. Er griff nach seiner Kamera und fotografierte die Büste von allen Seiten. Zumindest wollte er Bilder von ihr haben, wenn er sie an Dr. Ryan übergeben musste. Vielleicht würde er anhand der Fotos sogar noch einen zweiten Kopf anfertigen. Aber dann würde er nur wieder vor demselben Problem stehen. Wie konnte man mit einem Kunstwerk das Wesen eines Menschen einfangen? Die Antwort machte den Unterschied zwischen Durchschnitt und Genie aus. Als er sicher war, dass er alle Bilder hatte, die er brauchte, nahm er ein feuchtes Tuch und legte es über die Büste. Dann ging er hinunter, um von dem Telefon im Treppenhaus aus Sam anzurufen.
     
    Meadows setzte Sam bei ihrem Haus ab. Als sie in die Einfahrt einbogen, bemerkten sie Sharmans alten Ford, der vor dem Eingang parkte.
    Meadows sah Sam an. »Soll ich mit hineinkommen und dafür sorgen, dass Sharman sich benimmt?«
    Sam blickte durch die Heckscheibe in den Wagen. Es war seiner, kein Zweifel, aber von Sharman war weit und breit nichts zu sehen. Wo mochte er stecken? Sie wandte sich Meadows zu. »Nein, schon gut, ich bin durchaus in der Lage, mit den Stan Sharmans dieser Welt fertig zu werden.«
    Er nickte. »Schön, wenn Sie sicher sind.« Insgeheim kam ihm ihre Entscheidung sehr gelegen. Sharman war der Letzte, dem er jetzt in die Arme laufen wollte.
    »Bin ich. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich hoffe, es war nicht zu viel für Sie. Sie sind ein Risiko eingegangen.«
    Er lächelte sie an – zum ersten Mal, soweit sie sich erinnern konnte. »Sie haben mir auf jeden Fall reichlich Stoff zum Nachdenken geliefert, Dr. Ryan. Vorher kam mir alles viel einfacher vor.«
    Fast so etwas wie ein Kompliment, fand Sam. »Werden Sie Adams davon berichten?«
    »Das muss ich wohl. Aber ich werde erst mal eine Weile darüber nachdenken. Muss mir überlegen, wie ich es ihm am besten beibringe. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Und ob sie es verstand. »Viel Glück.«
    Er nickte zum Dank, als sie aus dem Wagen stieg und auf ihre Haustür zuging. Meadows wartete ab, bis sie hineingegangen war, und fuhr dann davon.
    Drinnen fütterte Sam als Erstes Shaw, damit er ihr nicht den Fuß abbiss, und ging dann nach hinten in den Garten, um Sharman zu suchen. Er saß am höchsten Punkt des Gartens auf ihrer Lieblingsbank und schaute hinaus über die Felder. Als er sie kommen hörte, sah er sie an. »Ich liebe Ihr Haus. Wunderbare Aussicht.«
    Sam setzte sich neben ihn. »Danke. Ich liebe die Aussicht auch. Sie ist einer der Gründe, warum ich es gekauft habe.«
    Für Sharman war das genug Smalltalk. Er kam zur Sache. »Wie war es? Hat Meadows sich benommen?«
    »Tadellos, und es lief sehr gut.«
    Sharman drehte ihr langsam das Gesicht zu. »Also, was haben Sie herausgefunden? Sie sehen sehr zufrieden mit sich aus.«
    Das war sie auch, aber es erschreckte sie, dass man es ihr ansah. Sie versuchte ihre Emotionen in den Griff zu bekommen. »Ward hat zugegeben, dass er ein Verhältnis mit Sophie Clarke hatte und in

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