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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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eine halbe Meile voraus, ins Tal des Todes ritten die Sechshundert.«
    »Tennyson?«
    Sam war beeindruckt. »Sehen Sie, Sie kennen sich sogar mit Dichtung aus.«
    Er wandte sich wieder zur Küche. »Nur, wenn es Kriegsdichtung ist.«
    »Manche der eindrucksvollsten Gedichte der Welt sind aus dem Grauen des Krieges entstanden.«
    Mit zwei dampfenden Bechern Kaffee in der Hand kehrte Sharman aus der Küche zurück. »Hier liegen wir tot, denn wir beschlossen, nicht zur Schande des Landes zu leben, aus dem wir sprossen.«
    Er reichte Sam ihren Becher, während sie versuchte, sich zu erinnern, von welchem Verfasser diese Worte stammten. Schließlich gab sie es auf. Sharman freute sich insgeheim, dass sie offenbar doch nicht alles wusste.
    »Ich dachte, das würden Sie kennen, Sam. A. E. Houseman, ein alter Trinity-Mann.«
    Sie lächelte ihn an. Okay, eins zu null für ihn. Sie war beeindruckt und gönnte ihm seinen kleinen Triumph. Sie nippte an ihrem Kaffee. »Da ich vermute, dass Sie mich nicht hierher gebracht haben, um mir Ihre Soldaten vorzuführen – was wollten Sie mir denn nun zeigen?«
    Sharman trat an den Videorekorder und schob das Band ein, das er aus Rogers’ Wohnung hatte mitgehen lassen.
    »Ich denke, dass Sie sich das hier ansehen sollten. Es ist kein schöner Anblick. Machen Sie sich auf etwas gefasst.«
    Auf dem Bildschirm erschienen die schlimmsten Bilder von Vergewaltigung, Missbrauch, Folter und schließlich Tod, die Sam je gesehen hatte. Nach einer Weile konnte sie es nicht mehr ertragen. Sie schaute weg und bat Sharman, das Gerät abzuschalten.
    »War das echt?«
    »Ich fürchte ja. Diese Videos kommen aus Osteuropa. Bei der Sitte vermuten sie, dass sie während des Krieges in Bosnien entstanden sind. Damals wurden massenhaft Frauen gefangen genommen und niemand war da, der solche Auswüchse verhindert hätte.«
    »Was war mit der UNO?«
    Er schüttelte den Kopf. »Machen Sie keine Witze.«
    »Wie viele von diesen Filmen gibt es?«
    »Tausende, mit Hunderten von Frauen. Irgendjemand verdient damit eine Stange Geld.«
    Sam nahm einen großen Schluck von ihrem inzwischen kalten Kaffee. »Woher haben Sie dieses hier?«
    Sharman stand auf und griff nach Sams Tasse, um ihr einen neuen Kaffee zu holen. »Von Clarkes Hausmeister. Er hat wahrscheinlich ein paar davon in seiner Wohnung, aber ich konnte nur eines mitgehen lassen.«
    »Woher hat er sie?«, rief sie ihm in die Küche nach.
    »Weiß ich noch nicht. Ich muss noch einmal zu ihm. Ich bin sicher, er wird kooperativ sein, wenn ich ihn nett bitte.«
    Sam wusste genau was »nett bitten« in Sharmans Terminologie bedeutete, aber sie erhob keinen Einwand. Wenn jemand eine Tracht Prügel verdient hatte, dann war es Rogers. Sie konnte sich nicht erinnern, schon jemals über etwas so entsetzt gewesen zu sein. Und damit machten Leute auch noch Geld! Was zum Teufel war nur mit den Menschen los? Sharman kehrte mit zwei frischen Bechern Kaffee zurück.
    »Sind Sie okay?«
    Sie bejahte, aber das war gelogen. Sie war zutiefst schockiert über das, was er ihr gezeigt hatte. Als sie ihm den Becher abnahm, klopfte es an der Tür. Sharman öffnete. Eine junge, attraktive Frau stürmte ins Zimmer und sah Sam drohend an. »Wer zum Teufel ist das? Noch eine von deinen Tussis?«
    Sie funkelte Sharman an. Sam war verdattert und sprachlos, während Sharman sich köstlich zu amüsieren schien.
    »Kate, darf ich dir Dr. Ryan vorstellen? Ich habe dir von ihr erzählt. Sam, das ist meine Freundin Kate.«
    Sam stand auf und streckte ihr die Hand entgegen. »Erfreut, Sie kennen zu lernen, Kate. Glaube ich jedenfalls.«
    Kate wurde rot. Sie ergriff Sams Hand. »Tut mir Leid, Dr. Ryan, ich dachte nur, na ja, Sie wissen, was ich dachte. Tut mir wirklich Leid.«
    Sam stellte ihren Kaffee auf dem Tisch ab und wandte sich an den immer noch feixenden Sharman. »Dann lasse ich Sie beide mal lieber allein. Wenn Sie bei Rogers waren, sagen Sie mir Bescheid, was dabei herausgekommen ist, ja?«
    Er nickte. »Mache ich. Tut mir Leid wegen Kate. Sie ist manchmal ein bisschen hitzig und direkt.«
    Sam sah Kate an, die immer noch ziemlich verlegen war. »Wenn Sie mit Ihnen zusammen ist, muss sie das wohl auch.«
     
    Sharman musste über eine halbe Stunde warten, bis Rogers endlich in seine Wohnung zurückkehrte. Er hatte seinen Wagen am anderen Ende der Allee geparkt, sodass er das Haus gut im Blick hatte, ohne dass seine Bewohner ihn sehen konnten. Nachdem Rogers nach Hause gekommen

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