Der Fremde ohne Gesicht
rief sie auf ihrem Handy an und sagte ab. Sie war nicht glücklich darüber, konnte aber damit leben. Schließlich war es gerade Sharmans Unberechenbarkeit, die sie so sehr an ihm mochte; also konnte sie sich jetzt kaum beklagen. Er machte sich einen Kaffee und schob die erste Kassette ein. Sie unterschied sich kaum von den anderen. Junge Mädchen wurden angegriffen, vergewaltigt, gefoltert und dann auf verschiedene Weise getötet. Die Bänder erinnerten Sharman an die Freddy-Krüger-Filme, nur dass hier der Horror Wirklichkeit war. Als er bei der vierten Kassette angekommen war, war ihm regelrecht schlecht. Die anderen Bänder würden vermutlich auch nichts anderes enthalten. Er stand auf, um die Maschine abzuschalten, als er plötzlich starr stehen blieb. Am Ende des Films folgte nicht wie sonst schwarzes Rauschen, sondern es erschienen Bilder von Sophie Clarke. Offensichtlich waren sie heimlich aus der Deckung von Büschen und Mauern aufgenommen worden. Einige Einstellungen zeigten sie, wie sie im Bikini durch den Pool schwamm oder sich auf einem Liegestuhl sonnte. In anderen war zu sehen, wie sie mit ihrem Mann oder mit Ward durch den Garten ging oder auch sich allein mit Gartenarbeit beschäftigte. Was ihn jedoch am meisten interessierte, waren Aufnahmen, die offenbar von einer Baumkrone vor ihrem Schlafzimmerfenster aus gemacht worden waren. Das Video zeigte, wie sie sich zuerst entkleidete – sie war wirklich sehr schön, dachte Sharman –, dann, wie ein Mann das Zimmer betrat. Er erkannte ihn sofort: Es war Ward. Das Paar begann sich zu lieben und das Liebesspiel dauerte noch an, als das Band etwa fünfzehn Minuten später endete. Es war zärtlich und doch leidenschaftlich. Sharman war überrascht und angeekelt von sich selbst, als er feststellte, dass die Bilder ihn erregten. Er spulte die anderen Bänder im Schnelldurchlauf durch, um zu sehen, ob es noch etwas Interessantes gab, doch er wurde enttäuscht. Offensichtlich hielt Rogers den Schlüssel zu diesem ganzen Fall in der Hand. Er würde ihn noch einmal aufsuchen müssen, und zwar schnell. Diesmal würde er seinem Gedächtnis etwas mehr auf die Sprünge helfen müssen.
Nachdem er sechs der Videos mit einem Vermerk für Panna im Sittendezernat hinterlegt hatte, wollte er das Band mit den Bildern von Sophie Clarke Sam zeigen. Bevor er losfuhr, rief er an, um sich zu vergewissern, dass sie auch zu Hause war. Zu seiner Überraschung lud sie ihn zum Abendessen ein. Obwohl das seinen Besuch bei Rogers verzögern würde, erschien ihm die Gelegenheit zu gut, um die Einladung auszuschlagen. Als er vor ihrem Haus parkte, ging die Außenbeleuchtung an und Sams Kater jagte aus den Schatten in eine Gruppe von Büschen auf der anderen Seite der Einfahrt. Er versuchte Shaw hervorzulocken, doch wie seine Besitzerin war er ein unabhängiges Wesen mit seinem eigenen Willen, das ihn einfach ignorierte.
Sam erschien in der Tür, bevor Sharman anklopfen konnte. Er lächelte sie herzlich an und überreichte ihr dann eine Flasche Wein, ein Video und ein liebevoll verpacktes Überraschungsgeschenk.
»Was ist denn das? Das wäre doch nicht nötig gewesen.« Sie freute sich und musste an sich halten, sonst hätte sie ihm einen Kuss auf die Wange gegeben. »Kommen Sie herein, aber bilden Sie sich nicht ein, dass ich mich von Geschenken so leicht beeindrucken lasse.«
Er trat lächelnd über die Schwelle. »Wie könnte ich so etwas denken!«
Sam hatte sich sorgfältig vorbereitet. Aus den vielen Kochbüchern auf seinem Küchenregal hatte sie geschlossen, dass er gerne und gut kochte, und von einem Mann wollte sie sich nicht ausstechen lassen. Sharman aß alles auf und schien seine Freude daran zu haben, und sie verbrachten einen angenehmen Abend. Nach dem Essen nahm er die Videokassette, die er mitgebracht hatte, und schob sie in den Rekorder. Dann setzte er sich neben sie aufs Sofa.
»Das ist doch nicht wieder einer von diesen Snuff-Filmen, Stan? Ich könnte es nicht ertragen, noch einmal so etwas zu sehen.«
Er schüttelte den Kopf. »Schauen Sie es sich einfach an.«
Sam wandte den Blick auf den Bildschirm. Als die Bilder von Sophie Clarke erschienen, blieb ihr vor Verblüffung der Mund offen stehen. Noch sprachloser war sie, als sie Sophie beim Liebesspiel mit Ward sah. »Wo haben Sie das her?«
»Aus Rogers’ Wohnung. Es war unter dem Fernseher versteckt.«
»Was hat er gesagt, als Sie es fanden?«
»Er war ein bisschen nervös, aber gesagt hat er eigentlich
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