Der fremde Pharao
Trauerzeit ist vorbei. Das Leben geht wieder seinen normalen Gang. Du musst jetzt Aahmes-nofretari heiraten und ihren Sohn als deinen eigenen annehmen. Unser Blut muss für die Zukunft fleckenlos bleiben.«
»Für welche Zukunft?«, hatte Kamose gereizt zurückgegeben und sich auf der Stufe umgedreht, sodass das Lampenlicht auf Tetischeris knotige, glitzernd beringte Finger, ihre mageren Schultern und eine Seite ihres feinknochigen Gesichtes fallen konnte. Sie wich seinem Blick aus und richtete die Augen auf die Dunkelheit rings um ihre Füße. »Ich bezweifle, dass wir in ein paar Tagen noch eine Zukunft haben werden. Warum noch so tun, als könnten wir eines Tages die Doppelkrone zurückerobern? Der Traum wird immer nebelhafter, immer lächerlicher, je mehr Generationen aufeinander folgen. Ich habe mich entschlossen, meine Schwester nicht zu heiraten.« Ob er das sagte, um sie und vielleicht sich selbst auf die Probe zu stellen, er wusste es nicht. Er dachte an die Frau, die ihn im Schlaf heimsuchte, die bewirkte, dass er jede Nacht mit heimlichem Hoffen und Bangen die Augen schloss, und die ihm seit mehreren Jahren jegliche Lust auf eine andere genommen hatte.
Erst letzte Nacht war sie wieder zu ihm gekommen, hatte auf einem Felsen in der Wüste gestanden und war in leuchtend rotes, golddurchwirktes Leinen gekleidet gewesen. Ihre hoch erhobenen Arme waren schwer von Gold und dem matten roten Glanz von Jaspis, und goldumrandete Blumen aus Jaspis waren in ihr im Winde flatterndes schwarzes Haar geflochten. Ihr geschmeidiger Rücken in dem Hemdkleid, das sie wie Rauch umwirbelte, war von einer wilden Schönheit, die ihm beinahe Angst machte, obwohl sie ihn so anzog.
Doch so fasziniert von dem Phänomen war Kamose nun auch wieder nicht, dass er blind für die Alltagsforderungen der Wirklichkeit gewesen wäre. Nein. Seine Weigerung, Aahmes-nofretari zu heiraten, kam tief aus seiner Seele, ein heftiger Abscheu davor, in die Persönlichkeit seines geliebten Bruders zu schlüpfen, sie ihm zu rauben, etwas zu genießen, woran Si-Amun nie wieder Freude haben konnte. Bei dem Gedanken kam er sich wie der niederträchtigste Dieb vor, und sein Glaube an sein Geschlecht war nicht stark genug, dass er ihn dazu bewegt hätte, Si-Amuns Gemahlin für sich zu beanspruchen. »Kamose, du musst!«, hatte Tetischeri ihn gedrängt und ihn dabei endlich angesehen. »Und noch bevor Apophis kommt. Dann ist es einerlei, was er euch antut. Falls das Urteil auf Verbannung lautet, kann Aahmes-nofretari mit dir gehen. Falls man dich als stellvertretenden Nomarchen in die allertiefste Provinz schickt, kann man sie nicht von dir trennen! Was immer auch geschieht, das Blut deiner Vorfahren bleibt rein!« Kamose blickte ihr fest in die scharfen, alten Augen und musste schallend lachen.
»Waset ist allertiefste Provinz, Großmutter«, stellte er klar. »Die Höflinge in Auaris schaudern bei dem Gedanken an unsere Nomarchen und nennen sie Ägyptens südliches Kohlebecken. Dein eigener Sohn hat jemanden aus dem gemeinen Volk geheiratet, vergiss das nicht.« Sie setzte sich aufrechter hin.
»Weil er keine Schwester hatte. Außerdem ist Aahotep nicht aus dem gemeinen Volk. Sie stammt aus einer edlen und uralten Familie.«
»Eine Familie, die einen so unehrenhaften Mann wie Teti hervorgebracht hat«, warf Kamose rasch ein. »Lass uns abwarten, Großmutter. Aahmes-nofretari hat selbstverständlich ein Recht auf allen Schutz, den ich ihr bieten kann. Warum fragst du nicht Ahmose, ob er sie haben will?« Tetischeri beugte sich zu ihm mit Augen, die in dem Netzwerk von Fältchen nur noch Schlitze waren.
»Weil du deine Meinung vielleicht noch änderst. Du bist ein stilles Wasser, Kamose. Es würde mich nicht überraschen.«
»Ich habe gesagt, ich heirate nie.«
»Und das nehme ich dir nicht ab.«
Sie funkelten sich böse an, bis Tetischeri ihm die Hand auf die Schulter legte, sich hochstemmte und scharf nach Isis rief, und dann hatte die Dunkelheit sie verschluckt. Kamose blieb sitzen und dachte nach. Ich habe Großmutters unverblümte Zunge gebraucht, um meine eigenen Gedanken zu klären, sagte er bei sich. Ich bin nicht mehr an der Reinheit meines Blutes interessiert, ich will nur noch Rache. Wie ich das jedoch bewerkstelligen soll, weiß ich nicht.
Ramose blieb eine Woche, verbrachte die meiste Zeit mit Tani, fügte sich aber auch bemerkenswert gut in den täglichen Rhythmus der Familie ein, und zu seinem eigenen Erstaunen genoss Kamose seine
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