Der fremde Pharao
Gesellschaft. Morgens sahen sie nicht viel voneinander, weil sich Kamose nach Beendigung seiner Pflichten im Tempel mit Ahmose und Ipi in das Arbeitszimmer zurückzuziehen pflegte, doch bisweilen fuhren er und Ramose nachmittags mit dem Streitwagen in die Wüste und veranstalteten Wettfahrten oder jagten. Die sommerliche Hitze ließ langsam nach, und es wurde winterlich angenehm, während der Fluss die ausgedörrten Felder überschwemmte. Die beiden Männer saßen dann wohl zusammen im Sand unter einem Sonnensegel und tranken Bier, damit sich ihre Pferde abkühlen konnten.
Ramose pflegte wenig über die Kluft zu sagen, die zwischen ihm und seinem Vater entstanden war, und sein Kummer über Si-Amuns und Seqenenres vorzeitigen Tod war echt. Kamose hatte gemerkt, wie friedlich Tani wieder geworden war, und befragte ihn zu ihren ungewissen Heiratsaussichten. Ramose blickte mit zusammengekniffenen Augen im Schatten des Sonnensegels auf die aufgewühlte, hellgoldene Wüste, die in der Hitze flimmerte, und antwortete erst einmal nicht. Dann seufzte er: »Ich habe meinen Vater mit meiner Reise nach hier schon arg vor den Kopf gestoßen«, sagte er. »Ich schäme mich für ihn, Fürst, aber er bleibt mein Vater und das Familienoberhaupt. Die Heirat ist aufgeschoben, bis der König entschieden hat, was aus euch wird.« Er wandte Kamose den sorgenvollen Blick zu. »Ich liebe Tani«, sagte er nachdrücklich, »aber ich kann mein Erbe oder meine Zukunft nicht aufs Spiel setzen. Falls ich sie jetzt heirate, enterbt mich Vater aus Angst vor Apophis’ Missfallen. Sie ist eine Prinzessin, und ob sie nun einen Gedanken daran verschwendet oder nicht, sie ist einen gewissen Lebensstil gewohnt und hat ein Recht darauf. Ich möchte ihr mehr zu bieten haben als nur mich selbst. So steht es um mich.«
»Ich verstehe«, sagte Kamose und staunte über sich selbst, weil er Ramose überhaupt nicht böse war. »Ich an deiner Stelle würde genauso empfinden. Aber es ist hart für Tani, das hinzunehmen. Hast du es mit ihr besprochen?«
»Natürlich!«, erwiderte Ramose sogleich. »Sie ist nicht mehr das arglose Kind Hathors, das ich umworben habe. Sie wartet das Urteil des Königs ab, aber sie weiß, dass Vater das möglicherweise nicht reicht. Ihr seid, offen gestanden, alle in Ungnade. Vater schickt sich an, die Fühler nach den Töchtern einiger Höflinge aus Auaris auszustrecken. Ich habe ihm gesagt, er verschwendet nur seine Zeit.« Ramose blickte wieder in die Wüste. »Ich kann, falls nötig, noch weitere fünf, sechs Jahre warten, ehe ich gezwungen bin, mir zur Fortsetzung unseres Geschlechts eine Frau zu nehmen. In der Zeit läuft viel Wasser den Nil hinunter.«
Bei den Worten erschauerte Kamose innerlich und spürte eine böse Vorahnung und eine Verzweiflung, die bereits an Panik grenzte. Er wollte aufspringen und Apophis vernichten, Ägypten im Sturm erobern, die Zukunft brutal in eine Form pressen, wie er sie sich für Tanis Zukunft und für Ramose und für die Mitglieder seiner Familie wünschte, die sich für Schutz und Ermutigung immer mehr auf ihn verließen, und er schaffte es nicht, ihnen das zu geben. »Du bist ein guter Mensch, Ramose«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich vertraue dir. Sage, falls ich auf wundersame Weise plötzlich Rückenwind bekäme, würdest du mir helfen?« Ramose schwieg eine lange Zeit, dann sagte er: »Ich achte dich auch, Fürst, aber verzeih mir. Seqenenre eine Warnung zu übermitteln war etwas völlig anderes, als an deiner Seite zu kämpfen. Ich kann deine Frage nicht beantworten.«
Als Ramose zu guter Letzt auf der Bootstreppe Lebewohl sagte und dann auf dem Deck seiner Barke stand und Tani winkte, bis er hinter der Flussbiegung außer Sicht kam, war Kamose traurig. Der junge Mann mit dem stillen, freundlichen Wesen würde ihm fehlen. Ramose hatte so etwas Beständiges, und das hatte die Ängste und aufwallenden Gemüter im Haus beschwichtigt und mitgeholfen, die Sorgen aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Tani weinte nicht, als sie von der Bootstreppe zu ihren Gemächern ging. Kamose sah ihre schicksalsergebene Miene und wusste, dass sie jetzt bereit war, alles hinzunehmen, was das Schicksal bringen mochte.
Zwölftes Kapitel
Zwei Tage nach Ramoses Aufbruch stieg ein königlicher Herold am Hintereingang der Umfassungsmauer aus seinem Streitwagen, übergab die Zügel dem Kasernendiener, der herbeigelaufen kam, und strebte durch das Tor auf das Haus zu. Ahmose sah ihn herankommen und ging
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