Der fremde Pharao
beflissen näher. »Ich weiß, dass du meine Treue zum Horusthron in Auaris teilst«, sagte er dringlich. »Was ich getan habe, war schrecklich, Prinz, aber nötig. Daran sollte man nicht mir die Schuld geben. Verrate mich nicht, bitte.«
»Nicht verraten?« Si-Amun lachte schroff. »Bei Amun! Du versuchst, meinen Vater zu ermorden, und dann bittest du mich, nichts zu sagen? Ich bringe dich zu Kamose und deiner Herrin, und dann wirst du verurteilt und hingerichtet!«
»Wohl kaum«, sagte Mersu leise, »denn wenn man mich richtet, erzähle ich deinem Bruder, wie du die Pläne deines Vaters an Apophis verraten hast. Wegen der Familienehre wird man dich zwingen, dich umzubringen.« Si-Amun wurde rot im Gesicht. Er biss die Zähne zusammen.
»Du dreckiger Wurm!«, knurrte er. Mersu blieb ungerührt.
»Tut mir Leid, Prinz, aber es ist die Wahrheit. Ich verrate dich nicht, wenn du mich nicht verrätst.«
»Das ist nicht das Gleiche!«
»O doch«, sagte Mersu, »das ist es.«
Jetzt sollte ich ihn umbringen, dachte Si-Amun, und er spürte, wie sich der Dolch an seiner Mitte bewegte. Kamose erzähle ich, dass ich die Wahrheit herausgefunden und vor lauter Kummer und Wut zugestoßen habe. Doch Kamose wird fragen, wie ich auf den Gedanken gekommen bin, Mersus Zelle zu durchsuchen. Auf einmal wurde es ihm zu eng, und Angstschweiß brach ihm aus. Ich bin eingekreist, dachte er verzweifelt. Ich habe keine andere Wahl mehr. Möge Amun mir vergeben! Ich habe auch den Tod verdient. Er wollte den Dolch herausreißen und ihn dem Haushofmeister in die sorglos atmende Brust stoßen, doch er hatte nicht den Mut, den Mann zu töten, der sich über seinen Korb gebeugt hatte, als er noch ein Kleinkind war, der ihn gefüttert hatte und zur Stelle gewesen war und ihn aufgefangen hatte, als er die ersten unsicheren Schritte getan hatte. Und den sicheren Folgen solch einer Tat konnte er auch nicht ins Auge sehen.
»Aber ich schwöre bei Amun, bei Mut und Montu«, sagte er laut, »dass ich alles enthülle, was du und ich getan haben, falls du versuchst, deine furchtbare Tat zu vollenden. Ich hasse dich, Mersu. Ich hasse dich!« Er stolperte auf den Flur, und als er blindlings in Richtung seiner Gemächer lief, ging ihm auf, dass er nicht Mersu hasste. Er hasste Apophis und sich selbst.
Sechstes Kapitel
Tetischeri betrat das Arbeitszimmer ihres Sohnes, wo Kamose ungezwungen auf einem Stuhl saß, den Kopf in die Hand stützte und ins Zimmer starrte. Eine einzige Lampe auf dem Schreibtisch warf einen Lichtkegel auf verstreut liegende Rollen, einen noch vollen Weinkrug und einen leeren Becher, die Kamose sich bestellt und dann vergessen hatte. Beim Gruß seiner Großmutter blickte er müde hoch, stand auf und zog einen Schemel heran. Auf den setzte er sich, und Tetischeri ließ sich auf den Stuhl sinken. Sie sah spitz aus, hatte dunkle Ringe unter den Augen, und die Fältchen um ihren blassen Mund wurden von den flackernden Schatten noch betont. »Gibt es eine Veränderung?«, fragte Kamose. Tetischeri schüttelte den Kopf. Eine graue Haarsträhne war ihr auf die Brust gefallen, und daran zupfte sie zerstreut.
»Gar keine, aber der Arzt sagt, wenn er noch einen Tag durchhält, hat er gute Aussichten, am Leben zu bleiben. Ich wage nicht zu fragen, welchen Schaden eine solche Wunde anrichten kann. Ich habe Amunmose in seine Tempelzelle zurückgeschickt. Er braucht Ruhe. Der Arzt hat einen Strohsack auf dem Fußboden in Seqenenres Zimmer, und natürlich ist Uni immer in der Nähe. Mehr kann ich nicht tun.« Kamose wusste, wie enttäuschend das Zugeständnis für sie war, dass sie weder mit Worten noch mit Taten irgendetwas ändern konnte.
»Und was ist mit meiner Schwester?«
Tetischeri rang sich ein Lächeln ab.
»Sie ist stark. Sie wird genauso mühelos gebären wie eine Kuh. Ich bete darum, dass die Geburt Seqenenre nicht das Leben aussaugt.« Ihr altersfleckiger Arm fiel auf den Schreibtisch. »Du musst anfangen, die Dienstboten und die Angehörigen der Leibwache zu befragen, Kamose«, sagte sie barsch. »Wo war jeder am vergangenen Abend? Früh am Morgen? Was ist mit den Soldaten? Hat einer von ihnen eine Bronzeaxt? Ist es die Tat eines Fremden, eines Mörders aus dem Delta, den der Einzig-Eine ausgesandt hat, damit er einen rebellischen Untertan rasch und still beseitigt?« Sie lächelte kalt. »Ein Mord käme viel billiger und würde in Ägypten weniger Unruhe auslösen, als wenn er, um uns zu besiegen, eine Division von Auaris
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