Der fremde Pharao
obwohl die Männer ihres Geschlechts nicht mehr auf dem Horusthron saßen, und in diesem Wissen hatten sie, während sie zusammen aufwuchsen, immer füreinander gesorgt. Er liebte sie, obwohl er insgeheim darüber spottete, dass sein Vater an einer Tradition festhielt, die keine Gültigkeit mehr hatte. Falls ich schon stolz darauf bin, ein Prinz zu sein, dachte er, dann ist Vater mit seinen Träumen von der Rückkehr dieser Familie zu göttlichem Status in Ägypten doppelt so stolz wie ich. War stolz. Aahmes-nofretari wird es schaffen, aber Vater …
Er stöhnte und setzte sich auf. Etwas zog an seiner Angelleine, doch er achtete nicht darauf. Er wusste, er musste sich mit den furchtbaren Folgen seines schwachen Augenblicks bei Teti auseinander setzen. Bin ich dafür verantwortlich, fragte er sich, denn nun bot die Sorge um seine Frau keinen Schutz mehr vor Seqenenres Anblick, wie er da wie ein Opferstier, kraftlos und fast tot, lag. Wenn ich Teti nicht diese Botschaft geschickt hätte, wenn Teti mich nicht an Apophis verraten hätte, würde Vater dann jetzt am Fluss entlang nach Norden marschieren? Gewiss hatte der König ohnedies von dem Heer gehört. Hatte Apophis den Mord befohlen? Oder war Vater von einem verängstigten Diener oder Soldaten niedergestreckt worden?
Er wusste, dass er nur Worte im Kopf herumschob, während Schuldgefühle und Selbsthass immer größer wurden. Es ist, als ob ich selbst die verfluchte Axt geschwungen hätte, dachte er unglücklich. Ich, Si-Amun, Prinz von Waset. Aber wer hat tatsächlich zugeschlagen? Mersu? Mersu mit den Setiu-Vorfahren, der mit Tetis Oberhofmeister verwandt ist? Wenn ich es recht bedenke, so war er nicht sehr neugierig, als ich ihn gebeten habe, die Rolle zu verschicken, es war fast so, als hätte er darauf gewartet, dass ich ihn darum angehe. Ich schicke sie an Teti. Teti schickt sie an Apophis. Und der König liest, überlegt und beschließt, seinen stolzen Untertan aus dem Süden ein für alle Mal zu bestrafen? Sein Ka antwortete mit einem düsteren Ja. Niedergeschlagen holte Si-Amun seine Schnur ein und erteilte einen erstickten Befehl. Das Boot glitt durch die Binsen zum Ufer zurück.
Das Küchengesinde bereitete ein kärgliches Abendessen zu, doch niemand kam in den Speisesaal. Seqenenres Zustand war unverändert. Die Atmosphäre im Haus glich einem düsteren Leichentuch. Aahotep, die viel lieber bei ihrem Mann gewesen wäre, ermutigte und tröstete ihre Tochter. Tani, die alle über diesem Durcheinander und dieser Tragödie vergaßen, suchte früh ihr Lager auf und lag starr und zutiefst unglücklich im Bett, während Heket ihr Geschichten erzählte, um sie vom Zustand ihres Vaters abzulenken. Der Abend brachte eine trostlose Stille mit sich, und nur um die Frauengemächer herrschte noch Geschäftigkeit und Lärm.
Si-Amun kehrte in seine Gemächer zurück und holte einen Dolch aus seiner Truhe, der gesäubert und geschärft war und während der langen Fahrt im Streitwagen an seinem Gurt hätte hängen sollen. Er schob ihn in sein Hemd, wo er kalt auf seiner Haut lag, und suchte Mersus kleine Zelle auf. Er wollte den Mann nicht rufen lassen. Später erinnerte sich vielleicht jemand daran und fragte sich, warum. Er erreichte den Flur, erwiderte den Gruß des Wachpostens, ging zu Mersus Tür und stieß sie auf.
Der Raum war leer. Mersus Strohsack lag an einer Wand, daneben ein sehr niedriger Tisch und ein Schemel. Zwei Truhen, die die Habe des Haushofmeisters enthielten, standen an der Wand aufgereiht. Auf dem Tisch eine Lampe. Mit einem grimmigen Lächeln und hämmerndem Herzen machte Si-Amun die Tür hinter sich zu und ließ sich auf den Schemel sinken. Er hätte die Truhen durchsuchen, den Strohsack hochheben können, doch er tat es nicht, sondern verschränkte die Arme und spürte den tödlich tröstlichen Dolch. Dann lehnte er sich an die Wand und wartete.
Die Zeit fürs Abendessen kam und ging, doch Si-Amun war nicht hungrig nach Essen. Ihn hungerte nach Erlösung, Reinigung. Er dachte an Seqenenre, der um sein Leben kämpfte, während Res mattes Licht vor dem winzigen Fenster hoch oben in der Wand verblich und das Zimmer in Dunkelheit versank. Si-Amun riss sich zusammen, griff nach dem Kienspan auf dem Tisch, ging auf den Flur und entzündete ihn an der Fackel, die über dem geduldigen Soldaten brannte, dann ging er ins Zimmer zurück und zündete die Lampe an. Er überlegte, ob er den Soldaten fortschicken sollte, nahm jedoch Abstand davon. Von
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