Der fremde Pharao
flüsterte sie. »Geh zu deiner Frau. Es gibt nichts, was du für mich tun kannst.« Gehorsam stand er wieder auf. Wie stark sie doch war, seine schöne Mutter. Sie wollte mit ihrem Kummer allein sein, würde die siebzig Tage trauern, aber sie würde leben.
Kamoses Trage verschwand gerade im schattigen Garten, Ahmose und Uni folgten ihr. Kares, der Haushofmeister seiner Mutter, ging mit einer Verbeugung an ihm vorbei und bezog einige Schritte von Aahotep entfernt mit verschränkten Armen Stellung. Si-Amun fragte sich besorgt, wo wohl Tani ihre Wunden leckte, und da traf es ihn wie kaltes Wasser ins Gesicht: Mersu, und ihm fiel ein, was getan werden musste. Er bemühte sich, die Panik abzuschütteln, die ihn zu überwältigen drohte, und ging zu den Frauengemächern. Immer eins nach dem anderen, dachte er. Zuerst Aahmes-nofretari und mein Sohn.
In ihrem Zimmer war es kühler, als man bei der sengenden Sonne vermuten konnte. Durch den Windfänger auf dem Dach kam immer wieder ein Stoß abgestandener Luft und bewegte die geflochtenen Binsenmatten vor dem Fenster und hob Strähnchen des zerzausten Haars auf Aahmes-nofretaris Wangen, die an Kissen gelehnt döste. Si-Amun bedeutete Raa neben dem Lager, sich zu entfernen, und die Frau stahl sich mit einem aufmunternden Lächeln nach draußen. Si-Amun trat näher und gab seiner Frau einen Kuss auf die blassen Lippen. Sie erwachte mit einem Ruck, schrie freudig auf, warf ihm die Arme um den Hals und zog ihn zu sich herunter. »Si-Amun! Ich glaube es nicht! Wir haben uns solche Sorgen gemacht, seit keine Rollen mehr gekommen sind. Hast du ihn schon gesehen? Er ist so kräftig, so gierig! Was ist geschehen? Ist Vater schon in Auaris?«
Mit einem jähen, heftigen Kuss brachte er sie zum Verstummen, wollte damit die Bürde seines Schmerzes und Verlustes verringern, die ihm bereits den Atem benahm und das Herz zusammendrückte. »Si-Amun!«, rief sie und machte sich los. »Weinst du etwa?« Er nickte hilflos und legte den Kopf auf ihre Brust, denn die Schluchzer, die ihn schüttelten, ließen sich nicht länger unterdrücken. Sie hielt ihn sanft und wartete, bis er sich ausgeweint hatte, dann reichte sie ihm einen Lakenzipfel, mit dem er sich das Gesicht trocknen konnte, und schob ihn auf einen Schemel. »Sieg war wohl zu viel verlangt«, sagte sie.
»Ich weiß.« Er kam sich wegen seines Zusammenbruchs nicht albern vor. Nicht vor ihr. Sie musterte ihn wachsam und verriet dabei eine solche Angst, dass ihr Gesicht auf einmal nur noch aus fragenden Augen zu bestehen schien, und da wusste er, dass er ihr alles erzählen musste. Seine Schuld hatte schon lange, noch ehe er Waset verlassen hatte, eine Mauer zwischen ihnen errichtet, hatte ihre Beziehung langsam, aber sicher vergiftet. Das musste er jetzt berichtigen.
Er begann unzusammenhängend, wusste nicht, wo er anfangen sollte, ob mit seiner Unzufriedenheit mit dem Leben auf dem Anwesen, seiner Langeweile und seiner Verachtung für Waset oder mit dem Besuch bei Teti, bei dem er einen Augenblick seinem geistigen Hunger erlegen und schwach geworden war, aber allmählich kam Ordnung in seinen Bericht, und es war ein kalter, entsetzlicher Bericht.
Ihre Augen hingen unentwegt an seinem Gesicht.
Gelegentlich wanderten sie zu seinem Mund, seinem lockigen schwarzen Haar, kehrten aber immer wieder zu seinen Augen zurück. Er las in ihnen Ungläubigkeit, Schreck, Mitgefühl und Schmerz, doch gegen Ende sah er nicht, was er am meisten gefürchtet hatte. Ihre Miene zeigte keine verächtliche Verurteilung. Als er geendet hatte, lehnte sie sich zurück und blickte starr zur Decke. »Vater ist tot?«, fragte sie verzagt. »Die Sem-Priester …« Er schluckte.
»Ja?«
»Aber er wäre ohnedies gestorben, Si-Amun, siehst du das nicht? Auf der Ebene von Daschlut oder in den Kanälen vor Auaris, wo ist da der Unterschied?« Sie setzte sich auf, sah ihn an und sagte eindringlich: »Der Aufstand war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, mit oder ohne die Dinge, die du heimlich getan hast!« Sie ballte die Fäuste. »Ich will dich nicht verlieren! Sag nichts, lieber Bruder, lass Mersu umbringen. Überrede die anderen, dass kein Gerichtsverfahren erforderlich ist. Ramose hat nichts von dir gewusst, oder? Dann braucht es auch niemand sonst zu wissen. Ich will dich nicht verlieren!« Sie erhob jetzt die Stimme.
Si-Amun saß wie betäubt. Sie redete, ohne nachzudenken, ihr weibliches Gespür, ihr Selbsterhaltungstrieb für sich und ihr Kind
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