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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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schaffen werden.«
    Luntoks Augen verengten sich, aber er wandte sie nicht von der Fotokarte ab. »Die ragyapas sind stolz auf ihre Arbeit. Es ist eine heilige Pflicht, die einzige religiöse Praktik, die ohne Einschränkung auch weiterhin ausgeübt werden darf.«
    »Sie scheinen gut versorgt zu werden. Glückliche Kinder. Viel warme Kleidung.«
    Als wäre Shans Bemerkung das Stichwort, auf das er gewartet hatte, nahm auch Luntok seine Mütze und stand auf. »Es bringt angeblich Unglück, einen ragyapa zu schlecht zu bezahlen«, sagte er mit einem argwöhnischen Blick, drehte sich um und ging.
    Shan zweifelte nicht daran, daß die ragyapas in der Lage gewesen wären, den Mord an Jao durchzuführen. Waren die Armeevorräte eine Belohnung gewesen? Falls ja, hatte jemand anders sie für die Ermordung Jaos bezahlt. Jemand, der auf Militärbestände zugreifen konnte. Shan ging zurück in den ersten Raum und sah sich dort um. Die Frau schnarchte inzwischen. Sonst war niemand dort. Shan ging zu der roten Tür und öffnete sie.
    Ingesamt vier Computerterminals beherrschten das Zimmer.
    Auf einem großen Konferenztisch standen als Überreste eines Mittagessens ein paar Schalen, an deren Rändern noch Nudeln klebten. Zwei Chinesen in westlicher Kleidung saßen da, blätterten in Hochglanzkatalogen und tranken Tee. Einer von ihnen hatte sich eine Baseballkappe tief in die Stirn gezogen. Aus einer teuren Stereoanlage erklang westliche Rockmusik. An einem Schreibtisch in der Ecke des Raums saß Tyler Kincaid und reinigte seine Kamera.
    »Genosse Shan«, sagte eine vertraute Stimme aus dem hinteren Teil des Zimmers. Li Aidang erhob sich von einem Sofa. »Wenn ich doch nur Bescheid gewußt hätte, dann hätte ich Ihnen selbstverständlich angeboten, gemeinsam mit mir herzufahren.« Er wies auf den Tisch. »Wir treffen uns hier zweimal im Monat zum Mittagessen. Die Aufsichtskommission.«
    Shan ging langsam im Zimmer umher. Auf einem der Lautsprecher lag eine leere Kassettenhülle. The Grateful Dead, stand darauf. Vielleicht hatte Chang diese Kassette gehört, als er und sein Wagen in den Abgrund stürzten, dachte Shan ohne Reue. Aus einem kleinen Kühlschrank holte Li eine Coca-Cola hervor und streckte sie Shan entgegen.
    An einer der Wände waren Fotokarten angebracht. An einer anderen hatte man mit Stecknadeln Fotografien befestigt: weitere Studien tibetischer Gesichter, die mit der gleichen Feinfühligkeit aufgenommen worden waren, wie Shan sie in Kincaids Büro gesehen hatte. Li gab ihm die Limonade.
    »Mir war gar nicht bewußt, daß das Büro des Anklägers sich für Mineralabbau interessiert«, sagte Shan und stellte die Dose auf den Tisch, ohne sie zu öffnen.
    »Wir sind das Justizministerium. Die Mine ist die einzige ausländische Investition im ganzen Bezirk. Die Volksregierung muß sicherstellen, daß alles erfolgreich verläuft. Es gibt so vieles zu bedenken. Die Organisation der Arbeit, Exportgenehmigungen, Devisenbescheinigungen, Arbeitserlaubnisse, Umweltschutzbestimmungen. In all diesen Angelegenheiten muß das Ministerium konsultiert werden.«
    »Ich hatte ja keine Ahnung, daß Bor ein solch wichtiges Produkt darstellt.«
    Der stellvertretende Ankläger lächelte großmütig. »Wir möchten, daß unsere amerikanischen Freunde auch weiterhin zufrieden sind. Ein Drittel der Lizenzgebühren verbleibt im Bezirk. Nach drei Jahren der Produktion werden wir in der Lage sein, eine neue Schule zu bauen. Nach fünf Jahren vielleicht eine neue Klinik.«
    Shan ging zu einem der Computermonitore, die näher bei Kincaid standen. Endlose Zahlenkolonnen liefen über den Bildschirm.
    »Unseren Freund, den Genossen Hu, kennen Sie ja bereits«, sagte Li und wies auf den ersten der beiden Männer am Tisch. Hu salutierte genauso spöttisch in seine Richtung, wie zuvor, als er Shan in Tans Büro zurückgelassen hatte. Mit der Kappe auf dem Kopf hatte Shan ihn nicht erkannt. Er nahm den Direktor der Minen genauer in Augenschein. War Hu überrascht, ihn zu sehen?
    »Genosse Inspektor«, grüßte Hu ihn kurz angebunden, musterte Shan einen Moment lang mit seinen kleinen Käferaugen und widmete sich dann wieder dem Katalog. Darin waren Bilder von lächelnden blonden Paaren zu sehen, die im Schnee standen und leuchtendbunte Pullover trugen.
    »Geben Sie immer noch Fahrstunden, Genosse Direktor?« fragte Shan und versuchte so zu tun, als würde der Computer ihn ablenken.
    Hu lachte.
    Li deutete auf den zweiten Mann, eine gepflegte,

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