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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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den Dienstagabend.«
    »Dienstagabend?«
    »Das Majestic, Hawley«, seufzte sie. »Ich fange am Dienstag mit meinem neuen Repertoire an, und dafür brauche ich ein neues Kleid.« Cora trat zwei Abende in der Woche in einer Music Hall am Strand auf. Die acht Shilling, die sie dort bekam, betrachtete sie als ihr persönliches Einkommen und steuerte nichts davon zur gemeinsamen Kasse bei.
    »Aber sechs Shilling, meine Liebe«, sagte er leise und zog an seinem Schnauzbart, als könnte er das Geld daraus hervorholen.
    »Du wirst mir doch kaum sechs Shilling missgönnen? Bei all der Arbeit, die ich mir für dich mache? Was für ein Ehemann bist du überhaupt?«
    Hawley ließ den Blick durch den Raum schweifen und runzelte die Stirn. In einer Ecke lag ein Haufen schmutzige Wäsche, seit Tagen schon. Die Spüle stand voller Geschirr, und über das Bücherregal hatte sich, seit er das letzte Mal sauber gemacht hatte, eine dünne Schicht Staub gelegt. »Natürlich nicht, Cora«, antwortete er. »Aber das Geld ist im Moment knapp, das weißt du. Neue Kleider sind da womöglich eine unnötige Ausgabe.«
    »Es ist knapp, weil du dich weigerst zu arbeiten«, fuhr sie ihn an, stand auf und stellte ihren Teller auf den Stapel in der Spüle.
    Er sah sich hoffnungsvoll um, ob irgendwo auch ein Teller für ihn war, wusste jedoch, wie unwahrscheinlich das war. Sein Magen knurrte enttäuscht.
    »Ehrlich, Hawley, du führst ein Leben wie ein König, doch, das tust du. Du bist ein paar Stunden in dieser Apotheke, was kaum eine sehr anstrengende Arbeit ist, und dann sitzt du abends in deiner Praxis und starrst die Decke an. Wenn du eine etwas produktivere Art und Weise fändest, deine Zeit zu verbringen, würdest du auch mehr verdienen und nicht alles mir überlassen.«
    »Ich habe dir erklärt, warum ich weniger einnehme, meine Liebe«, sagte er und bezog sich damit auf die Praxis. »Seit sich diese Zahnärzte …«
    »Ich will das alles nicht hören«, sagte sie und hob die Hand. »Die Einzelheiten deiner täglichen Existenz sind für mich ohne Bedeutung. Aber ich bin deine Frau, Hawley, und ich lasse mich nicht auf diese Weise behandeln. Das Majestic ist mein erster Schritt auf dem Weg zur Berühmtheit, das weißt du. Du solltest überglücklich sein, mit einer von Londons größten Gesangssensationen verheiratet zu sein. Wenn ich das Kleid nicht bekomme, kann ich mich auch gleich von meiner Karriere verabschieden.«
    »Wegen dieses Kleides?«, fragte er skeptisch.
    »Sechs Shilling, Hawley, ich meine es ernst. Sonst …«
    Was sonst geschehen würde, hörte er nicht, denn in diesem Augenblick klopfte es heftig an der Tür. Mr Micklefield war da. Ohne auf eine Antwort zu warten, steckte der Vermieter seinen Schlüssel ins Schloss und kam auch schon herein, während Hawley noch zur Tür eilte. Was Hawley besonders hasste, war, dass Micklefield ihnen nie die Zeit gab, ihm aufzumachen, sondern immer selbst aufsperrte. Er persönlich glaubte, dass der Mann darauf hoffte, Cora in einem nicht ganz bekleideten Zustand zu überraschen, weshalb sich Hawley normalerweise um halb acht in Türnähe platzierte, um schneller zu sein als er. Durch den Streit an diesem Abend hatte er das aber vergessen, und so stand ihr fetter Vermieter unversehens zwischen ihnen.
    »’n Abend allerseits«, sagte er, zog sein Notizbuch heraus und leckte über die Spitze seines Bleistifts. »Schöner Abend dafür. Wie geht’s Ihnen, Mrs C.?«, fragte er und zwinkerte Cora lüstern zu. Sie seufzte verzweifelt und wandte sich von den beiden ab, den zwei Männern in London, die sie am wenigsten mochte.
    »Hier ist Ihr Geld, Mr Micklefield«, sagte Hawley, nahm den Umschlag, gab ihn ihm und schob den Vermieter zurück zur Tür. Auf Micklefields Nacken wuchsen unansehnliche Haarbüschel, Hawley starrte sie angewidert an. »Bis nächste Woche.«
    »Ist im Haus alles in Ordnung?«, fragte der Mann, blieb stehen und sah sich um. Seine Augen schossen hin und her, wie die einer Ratte auf der Suche nach Käse. »Gibt’s keinerlei Probleme?«
    »Keine, Mr Micklefield. Wir lassen es Sie wissen, wenn es so sein sollte.«
    »Läuft das Wasser richtig? Das Gas? Knarzen die Dielen nicht zu sehr?«
    »Alles ist in Ordnung, Mr Micklefield. Mrs Crippen und ich hatten gerade etwas zu besprechen. Wenn Sie uns also vielleicht …?«
    »Sie sehen so hinreißend aus wie immer, Mrs C.!«, rief er zu ihr hinüber und versuchte, noch einen Moment länger zu bleiben. »Wenn Sie den

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