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Der freundliche Mr Crippen | Roman

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Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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zu Boden fallen und sah sich nervös in seiner Kabine um, froh, dass er die Tür hinter sich abgeschlossen hatte.
     
    Der Erste Offizier Billy Carter saß mit zwei Seeleuten auf der Brücke und schwatzte sorglos mit ihnen, als er den Kapitän zielstrebig über das Deck auf sie zueilen und die Stufen erklimmen sah. »Mützen auf, Jungs«, sagte er, sich der Regeln des Kapitäns wohlbewusst, und hatte gerade die eigene auf dem Kopf, als der ältere Mann hereinmarschiert kam und ihm mit der Fingerspitze bedeutete, er solle ihm folgen.
    »Alles in Ordnung, Käpt’n?«, fragte Carter aufgekratzt und spürte eine Entschlossenheit in dem Mann, wie sie ihm vorher noch nicht begegnet war.
    »Nicht unbedingt«, antwortete Kendall. »Aber sicher bald wieder. Kommen Sie mit.«
    Die beiden Männer gingen die Stufen wieder hinunter, wandten sich nach links, stiegen noch ein Deck tiefer und betraten den Funkraum. Carter hatte praktisch rennen müssen, um mit seinem Kapitän Schritt zu halten. Der Raum war leer, und als sie drinnen waren, schloss Kendall die Tür hinter ihnen ab und befahl Carter, sich an den Tisch zu setzen.
    »Kennen Sie sich mit dem Marconi-Telegrafen aus?«, fragte er, und der Erste Offizier sah auf die drahtlose Maschine und die Morsetaste vor sich.
    »Sicher, Sir«, sagte er. »Eine erstaunliche Erfindung. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie wir früher ohne ihn ausgekommen sind.«
    »Sie müssen eine Nachricht schicken, zum Festland«, sagte er und war nicht interessiert an nutzlosem Geplänkel. »Ich würde es selbst tun, aber ich muss mich auf die korrekte Formulierung konzentrieren. Können Sie sie losschicken?«
    Billy Carter blinzelte. Es ging um eine ernste Sache, das war eindeutig. Er nahm die Mütze ab und legte sie auf den Tisch neben sich. »Ja, Sir«, sagte er förmlich mit einem schnellen Nicken des Kopfes.
    »Wenn wir diesen Raum wieder verlassen, sprechen Sie mit niemandem über die Nachricht.
Mit niemandem«
, wiederholte er bestimmt. »Verstehen Sie?«
    »Verstehe, Sir. Strengste Geheimhaltung.«
    »Also gut, dann«, sagte Kendall. »Werfen Sie ihn an.«
    Carter streckte die Finger und zog die Taste zu sich heran. Er zermarterte sich das Hirn, um sich an die einzelnen Punkte, Striche und Pausen zu erinnern, die er vor vielen Jahren gelernt, aber seitdem kaum einmal benutzt hatte. Er ging durch das Alphabet und entspannte sich, als ihm die einzelnen Codes wieder klar vor Augen traten.
    »Die Nachricht geht an Scotland Yard«, sagte Kendall.
    »Scotland Yard?«, fragte Carter und fuhr herum, aber der Kapitän schob ihn zurück in seine Funkposition.
    »Morsen Sie«, befahl er. »Keine Fragen.«
    Carter legte den Finger auf die Taste.
    »An Scotland Yard. Von Henry Kendall, Kapitän der SS
Montrose
aus der Flotte der Canadian Pacific.« Kendall räusperte sich und wartete, bis Carter den Text durchgegeben hatte. »Habe dringenden Verdacht, dass Crippen, Londons Kellermörder, und Komplize unter den Passagieren sind. Schnauzbart abgenommen, dafür Backenbart. Komplize als Junge verkleidet. Nach Stimme, Verhalten und Statur eindeutig eine Frau. Bitte um Anweisungen.«
    Billy Carter schickte die Nachricht an den drahtlosen Empfänger, den Guglielmo Marconi selbst in Poldhu im englischen Cornwall errichtet hatte. Dann drehte er sich um und starrte seinen Kapitän mit einer Mischung aus Verwunderung und plötzlichem Respekt an.
    Kendall erwiderte seinen Blick und lächelte kalt. »Jetzt warten wir auf eine Antwort«, sagte er im Vorgriff auf die Frage des Jüngeren.

[zurück]
    11  Mit der Geduld am Ende
    London: 1906 bis 1910
    Cora Crippen starrte aus dem Fenster von 39  Hilldrop Crescent in Camden und verzog das Gesicht wie ein hungriges Nagetier. Hawley hatte versprochen, um sieben Uhr zu Hause zu sein, und es war bereits zehn nach, ohne dass etwas von ihm zu sehen war. Der Kerl taugt zu nichts, dachte sie, zu absolut nichts. Es war Donnerstagabend, und donnerstags mochte sie nicht allein zu Hause sein, weil da Mr Micklefield kam, um die Miete zu kassieren. Sie wohnten jetzt seit über einem Jahr in ihrem neuen Zuhause, und er kam jede Woche donnerstags um Punkt halb acht, ohne Ausnahme. Cora war nicht gern allein mit ihm, denn er flirtete mit ihr, und sie fand ihn und seine Art geschmacklos. Noch wichtiger war jedoch, dass sie nicht diejenige sein wollte, die ihn bezahlte, da dies den Umstand unterstrich, dass sie nur die Mieterin und nicht die Eigentümerin des Hauses war.
    Es war Coras

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