Der freundliche Mr Crippen | Roman
überzogen.) »Da bist du ja. Wie schön. Das Essen ist gleich fertig.«
»Cora«, sagte er und sah von ihr zu dem jungen Mann. »Ja«, murmelte er und bemühte sich, die Situation zu verstehen. »Darf ich fragen …«
»Ach, du kennst Mr Heath noch nicht?«, fragte sie, obwohl sie doch genau wusste, dass er den Burschen noch nie gesehen hatte. »Das ist Mr Alec Heath, Hawley. Unser neuer Untermieter.«
»Unser neuer was?«
»Unser Untermieter, Liebling. Du erinnerst dich doch, dass ich dir von ihm erzählt habe?«
Hawley kniff überrascht die Augen zusammen. Er wusste sicher, dass Cora nie etwas von einem Untermieter gesagt hatte, und er fand es unerhört, dass sie jemanden ins Haus holte, ohne vorher mit ihm darüber zu sprechen.
Tatsächlich hatte Cora schon lange vor Mr Micklefields letztem Besuch über einen Untermieter nachgedacht. Das Haus am Hilldrop Crescent war ein wenig zu groß für die Crippens allein, was Cora ursprünglich für notwendig gehalten hatte, um ihre Freundinnen beeindrucken zu können. Im obersten Stock gab es ein angenehm großes Zimmer, das völlig ungenutzt war, und so hatte Cora beschlossen, es unterzuvermieten, wobei sie auch gleich gewusst hatte, an wen.
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Hawley kläglich.
»Aber das musst du doch«, sagte sie mit einem Lachen. »Alec, das ist mein Mann, Dr. Hawley Harvey Crippen.«
Langsam, als wäre jede Bewegung eine Zumutung für ihn, faltete Alec Heath die Zeitung zusammen, Hawleys Zeitung, legte sie auf die Sessellehne, stand auf und streckte die Hand aus. Seine Gegenwart und Größe schüchterten Hawley ein. Alec war gut über einen Meter achtzig groß, von muskulöser, kräftiger Statur, und wo sich bei Hawley eine Glatze zu bilden begann, wuchs ihm ein dichtes Büschel dunkles Haar in die Stirn. Er hatte dunkle Haut, so als verbrächte er viel Zeit mit Sport und an der frischen Luft, und das Kinn war mit Stoppeln überzogen, da er sich heute offenbar noch nicht rasiert hatte. Der Ärmel des ausgestreckten Arms war aufgerollt und ließ einen starken Unterarm und einen vorspringenden Bizeps erkennen, der Hawley in Erstaunen versetzte. Dieser Alec war einer jener Männer, denen die Ladys auf der Straße hinterhersahen, aber er hatte graue kalte Augen, die verrieten, dass er für Romantik wenig übrighatte. »Hey«, sagte er, was seine Art eines Grußes zu sein schien.
Hawley schüttelte ihm die Hand. »Guten Abend, Mr Heath«, antwortete er.
»Alec ist ein Kollege aus dem Majestic«, erklärte Cora. »Er ist der Stellvertreter des Inspizienten. Er ist erst neunzehn und hat schon einen der verantwortungsvollsten Jobs in der Music Hall. Ist das nichts?«
»Neunzehn?«, fragte Hawley leise.
»Er kommt ursprünglich aus Wales, habe ich recht, Alec?«
Alec nickte, ohne Hawley auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen, und der Ältere spürte, wie er für den Fall eines möglichen Konfliktes taxiert wurde und wie der Jüngere registrierte, dass er klar die Oberhand behalten würde.
»Aus Cardiff«, sagte er.
»Der arme Junge hat das ganze letzte Jahr in einer völligen Bruchbude wohnen müssen, in einer rattenverseuchten Wohnung in Colliers Wood. Schon der Weg zur Arbeit war lächerlich weit und seine Vermieterin offenbar ein Albtraum. Jedenfalls suchte er etwas Neues, und wir wollten jemanden für unser freies Zimmer oben. Also habe ich gleich an ihn gedacht.«
»Sicher«, sagte Hawley.
»Ich bin überzeugt, wir werden uns bestens vertragen«, fuhr sie fort, und er hatte sie seit kurz vor ihrer Heirat nicht mehr so froh gelaunt erlebt. »Warum setzt ihr zwei Männer euch nicht hin und lernt euch etwas besser kennen, während ich das Abendessen fertig mache?«
»Du kochst?«, fragte Hawley erstaunt.
»Aber sicher koche ich«, sagte sie mit einem Lachen in Alecs Richtung. »Wartet nicht immer ein schönes Essen auf dich, wenn du abends von der Arbeit kommst?« Er überlegte. Nein, wäre die richtige Antwort gewesen, doch er nahm an, dass sie keine Antwort erwartete. »In zehn Minuten bin ich so weit«, sagte sie und tanzte praktisch hinüber in die Küche.
Alec setzte sich zurück in den Sessel und überließ Hawley das Sofa. Die beiden sahen einander argwöhnisch an. Eine Weile lang hatten sie sich nichts zu sagen, aber nur Hawley fühlte sich unwohl, während er den gut gebauten Burschen studierte. Im Vergleich mit ihm kam er sich kümmerlich und fast feminin vor. Alec dagegen fühlte sich erleichtert. Er hatte
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