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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Hawleys Ton war bitter geworden, was auch Dew nicht verborgen blieb, er verspürte jedoch nur Mitgefühl mit ihm, keinen Verdacht.
    »Sie sind sehr ehrlich zu mir, Dr. Crippen«, sagte er. »Ich weiß das zu schätzen.«
    »Es tut mir leid, wenn ich Sie in Verlegenheit bringe. Es ist nur, nachdem ich so vielen Leuten erzählt habe, sie sei tot, ist es eine Erleichterung, endlich die Wahrheit zu sagen. Es ist ein bemerkenswert befreiendes Gefühl.«
    »Sie bringen mich nicht in Verlegenheit. Im Gegenteil.«
    Hawley lächelte. Er überlegte einen Moment lang, ob er die Laufbahn eines Romanautors einschlagen sollte. Es war ihm nicht nur gelungen, aus dem Stand heraus eine glaubwürdige Geschichte zu erfinden, eine, auf die selbst ein erfolgreicher Inspector von Scotland Yard hereinfiel, nein, er schien damit sogar einen Freund gewonnen zu haben.
    »Bevor ich es vergesse«, sagte Dew und kratzte sich am Kopf, »wobei, es tut mir leid, dass ich immer noch keine Ruhe gebe, aber eine Sache brauche ich noch.«
    »Ja?«
    »Den Namen des Mannes, mit dem sie davongelaufen ist, und wo er in London gewohnt hat. Nur, um die Akte schließen zu können, verstehen Sie? Es tut mir leid, aber meine Vorgesetzten können fürchterlich pedantisch sein, wenn es um solche Dinge geht.«
    Hawley blinzelte. Hatte
er
Dew hinters Licht geführt oder Dew
ihn
mit seiner freundlichen Art? Er überlegte schnell, aber da kam er nicht heraus.
    »Nun, den habe ich natürlich nicht dabei«, sagte er.
    »Sicher, sicher, aber doch zu Hause?«
    »Ich denke schon«, sagte Hawley zögernd. »Ja, ich müsste ihn mir irgendwo aufgeschrieben haben, nur für den Notfall.«
    »Wenn Sie ihn mir geben, können wir den Fall zu den Akten legen.«
    »Ja«, antwortete Hawley, nickte und hörte dem Inspector kaum zu, weil er nachdenken musste. Er sah Dew an und fragte sich, was er sagen sollte, wenn der Polizist begriff, wie sehr er die Geschichte ausgeschmückt und wie viel er erfunden hatte. »Sollen wir dann gehen?«
    »Gewiss.«
    Die beiden Männer erhoben sich, Inspector Dew bezahlte die Rechnung an der Theke und wollte nicht, dass Hawley sich beteiligte. Sie verließen das Restaurant. In der Zwischenzeit hatte es angefangen zu regnen, keiner der beiden hatte einen Schirm dabei und Dew fluchte leise, als er auf die Uhr sah. Er sah ein Hansom-Taxi näher kommen und winkte es heran. »Entschuldigen Sie, aber ich hatte vergessen, dass ich um drei einen Termin habe«, erklärte er. »Ich denke, bei diesem Wetter nehme ich besser ein Taxi und sehe zu, dass ich nicht zu spät komme. Kann ich in ein, zwei Tagen vorbeikommen und die Einzelheiten holen?«
    »Aber sicher, Inspector«, sagte Hawley erleichtert und streckte die Hand aus. »Am besten abends. Nach der Arbeit.«
    »Selbstverständlich. Also bis dann. Und noch einmal, Dr. Crippen …«
    »Hawley.«
    »Noch einmal, Hawley. Ich entschuldige mich dafür, dass ich Ihnen diese Tortur nicht ersparen konnte. Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen, und ich versichere Ihnen, dass ich diese Sache so diskret wie nur möglich behandeln werde.«
    »Ich danke Ihnen, Inspector. Bis bald dann.«
    »Ja. Auf Wiedersehen.« Dew sprang in das wartende Taxi, fuhr davon und winkte mit der Hand aus dem Fenster. Hawley Crippen hatte ihn beeindruckt wie kaum je ein Verdächtiger in seiner Laufbahn. Hawley stand im Regen, sah ihm nach und war sich nicht so sicher. »Das«, murmelte er leise, als er sich umdrehte und den Weg nach Hause einschlug, »ist ganz und gar noch nicht vorbei.«
    MONTAG , 20.  JUNI
    Inspector Dew schaffte es erst drei Tage später wieder zum Hilldrop Crescent, und er ging erst abends. Nicht, weil Dr. Crippen gesagt hatte, das sei die beste Zeit, ihn zu Hause anzutreffen, sondern weil er da seinen Arbeitstag beendet hatte und darauf hoffte, Hawley für ein Glas in einem Pub in der Gegend interessieren zu können. Dew besaß nur wenige Freunde und glaubte, in diesem angenehmen Mann vielleicht einen weiteren gefunden zu haben. Es war völlig untypisch für ihn, eine neue Freundschaft anzustreben, aber das Gespräch bei ihrem gemeinsamen Essen hatte Erinnerungen in ihm wachgerufen und ihm frische Energie verliehen. Gleich am nächsten Tag hatte er angefangen, die Plagegeister, die ihn wegen des Verschwindens von Cora Crippen bedrängt hatten, zu beruhigen, und zum ersten Mal in seiner Laufbahn als Polizist tat er das ohne einen wirklichen Beweis für die Unschuld des Verdächtigten. Zu seinem Ärger schien sich der

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