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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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werden es erfahren. Ich werde gleichermaßen bemitleidet und verachtet werden. Das habe ich allein mir selbst zuzuschreiben.«
    »Ich fürchte, die Wahrheit kommt immer ans Licht, Doktor«, sagte Dew. »Einige der Freundinnen Ihrer Frau haben die Geschichte sowieso nicht ganz geglaubt. Vielleicht wäre es das Beste, wenn
Sie
ihnen die Wahrheit sagten? Vergessen Sie nicht, dass Sie der Betrogene sind. Vielleicht zeigen sie Mitgefühl.« Er glaubte selbst kaum, was er sagte, fand aber, es müsse gesagt werden. Er sah auf die Uhr. »Ich hatte vor, einen Happen zu mir zu nehmen, bevor ich zurück ins Büro gehe«, sagte er. »Haben Sie vielleicht Lust, mir Gesellschaft zu leisten?«
    »Wirklich?«, fragte Hawley, überrascht, dass der Inspector so nett zu ihm war. »Sind Sie sicher?«
    »Gewiss. Ich mag Befragungen wie diese nicht, wenn ich ehrlich bin. Mich so in die privaten Angelegenheiten von jemandem hineinzudrängen, da fühle ich mich schäbig.«
    Hawley überlegte. Hätte man ihn vor die Wahl gestellt, wäre es ihm lieber gewesen, Inspector Dew hätte sich auf der Stelle verabschiedet und wäre nie wieder zurückgekommen, doch das schien keine Option. Der einzige Weg aus diesem Durcheinander bestand offenbar darin, seine Rolle bis zum Ende zu spielen.
    »Ich möchte Sie nicht in dieser Verfassung zurücklassen«, sagte Dew, und in seiner Stimme klang echte Sorge mit.
    »Gut, Inspector«, sagte Hawley schließlich. »Ich danke Ihnen, ich begleite Sie gern. Ich hole nur schnell meinen Mantel.«
    Er ging hinaus, Dew trat ans Fenster und sah auf die Straße. Die Kinder waren verschwunden und mit ihnen auch der lahmende Hund. Er fragte sich, ob er früher schon in ihr Spiel hätte eingreifen sollen. Der arme Hund war wahrscheinlich längst tot. Dews Magen ließ ein leichtes Knurren hören, und der Inspector sah sich nach seinem Begleiter um. Der arme Mann, dachte er. Einem völlig Fremden all diese Dinge gestehen zu müssen. Er dachte an Mrs Margaret Nash und Mrs Louise Smythson und empfand einen gehörigen Groll auf die beiden. Hätten sie ihre Nasen nicht in Dr. Crippens Angelegenheiten gesteckt, dachte er, dann hätte er nicht all diese persönlichen Dinge offenbaren müssen. Es war eine Schande. Er wünschte, er könnte die beiden dafür verantwortlich machen, die Zeit der Polizei verschwendet zu haben, wusste jedoch, das war unmöglich.
    »Sollen wir, Inspector?«, fragte Hawley und öffnete die Haustür.
    »Aber ja«, sagte Dew und folgte ihm hinaus auf die Straße und hinein in die Dunkelheit und das Schweigen, die über das Geheimnis des Hauses wachten.
     
    Sie aßen in einem kleinen Restaurant nicht weit von Hawleys Haus in Camden und fanden bald heraus, dass sie einiges gemeinsam hatten. Etwa, dass Inspector Dew, der nur ein Jahr älter war als Dr. Crippen, ähnliche Hindernisse überwinden musste, bevor er Polizist werden konnte, wie Crippen auf seinem Weg zum Doktortitel.
    »Meine Eltern waren das Problem«, erzählte Dew, machte sich froh gelaunt über ein blutiges Steak mit Pilzen und Bratkartoffeln her und tauchte immer wieder ein Stück Brot in den Saft, sodass sich weiße Flecken auf dem Teller zeigten. »Nun, vor allem meine Mutter. Sie war überzeugt, Polizist wäre kein angemessener Beruf für einen achtbaren jungen Mann. Ich sollte Anwalt werden oder dem Klerus beitreten, was mir beides nicht behagte. Allein schon die Ausstaffierung mochte ich nicht. Perücken oder lange Röcke. Das war alles nichts. Also habe ich durchgehalten und bin so der geworden, der ich heute bin. Inspector Dew vom Yard. Sie hat sich nie ganz damit abgefunden. Selbst mein Aufstieg zum Inspector konnte an ihrer Enttäuschung nichts ändern.«
    »Meine Mutter war ganz ähnlich«, gab Hawley zu. »Für sie war der Arztberuf eine Beleidigung Gottes. Sie dachte, dass jeder, der eine Krankheit zu heilen versuchte, sich in Sein Handwerk mischte. ›Gottes glorreiche Schöpfung‹ nannte sie es. Sie hat selbst niemals ein Medikament genommen und wollte nicht mal eine Wunde verbinden. Stellen Sie sich nur vor, meine Ausgaben vom
Scientific American
hat sie verbrannt.«
    »Großer Gott. Aber sie muss doch stolz auf Sie gewesen sein, als Sie Ihren Abschluss gemacht haben? Nicht jeder Mann hat die Fähigkeit, Arzt zu werden.«
    Hawley überlegte. »Ich glaube, das war sie nicht«, antwortete er, ohne sich um den Umstand zu kümmern, dass er tatsächlich nie einen Abschluss als Arzt gemacht hatte. (Wobei er sich schon vor langer

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