Der freundliche Mr Crippen | Roman
neugierig. »Sie spielen auf so vieles an und sagen doch so wenig.«
»Ich arbeite im Kulturbereich«, antwortete er mit einem Lächeln. »Das waren über die Jahre immer wieder andere Dinge. Theater, Opernhäuser … die Kulturverwaltung. Sie dürfen mich einen ›internationalen Kultur-Söldner‹ nennen. Die Leute an den Schaltstellen scheinen meinen Namen zu kennen, und sie setzen sich mit mir in Verbindung, wenn sie eine Aufgabe haben, die erledigt werden muss. Sagen wir einfach, ich weiß mich zu beschäftigen.«
»Was ist mit Ihnen, Martha?«, fragte Mr Robinson. »Wenn Sie in Kanada ankommen, was tun Sie dann?«
Sie lächelte. »Ich weiß es noch nicht«, sagte sie. »Ich denke, vielleicht gehe ich in die Juristerei.«
»Die Juristerei?«, fragte er überrascht.
»Ja. Ich wollte schon immer Anwältin werden, ohne dass ich sagen könnte, warum. Ich bin nur nie dazu gekommen. Aber welche Fehler Monsieur Brillt auch gehabt haben mag, in einem hat er mir die Augen geöffnet: dass mir alles offensteht. Ich bin schließlich noch jung. Ich glaube, ich suche mir eine Arbeit und gehe nebenher zur Universität.«
»Da wünsche ich Ihnen Erfolg«, sagte Matthieu. »Nur vergessen Sie nicht, dass Sie noch vor Ende der Reise Ihre Wahl treffen müssen.«
»Meine Wahl?«
»Mrs Drake ist so überzeugt, dass Sie mich oder John hier heiraten wollen, da werden Sie sich schon entscheiden müssen, wen denn nun.«
Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Das ist eine unmögliche Wahl, Gentlemen«, sagte sie, »obwohl ich weiß, wen Mrs Drake für mich wählen würde.«
Die beiden Männer sahen einander an, bevor ihr Blick zurück zu Miss Hayes ging. »Wen?«, fragten sie wie aus einem Mund.
»Natürlich Sie, Matthieu«, sagte sie. »Schließlich bewohnen Sie die Präsidentensuite, und ich bin der Welt größte Goldgräberin. In Mrs Drakes Vorstellung wären Sie fraglos meine erste Wahl. Tut mir leid, John.«
»Schon gut«, sagte er, dem bewusst war, dass sie scherzte, der sich aber dennoch zurückgesetzt fühlte.
»Auf gewisse Weise sind Sie natürlich auch gewählt worden«, sagte Martha nach einer Weile. »Von Victoria Drake. Über Ihren Sohn«, fügte sie hinzu und sah von einem zum anderen.
»Wie geht es Edmund heute?«, fragte Matthieu und sah Mr Robinson an. »Ich habe ihn noch gar nicht gesehen. Er ist doch nicht krank?« Seit er sicher war, dass Edmund Robinson in Wahrheit ein Mädchen war, hatte er ihn an Deck beobachtet und an diesem Nachmittag vermisst. So richtig war er noch nicht hinter das Verhältnis der beiden gekommen und damit auch noch nicht so weit, seine Erkenntnisse der Öffentlichkeit preiszugeben.
»Es geht ihm gut«, sagte Mr Robinson. »Er ist bestimmt irgendwo unterwegs.«
»Wenn Sie mich fragen«, sagte Martha, »sollten Sie beide Ihren Jungs raten, sich von Victoria fernzuhalten. Sie ist kein angenehmes Mädchen.«
»Ich persönlich glaube, ihr sollte geraten werden, sich von meinem Neffen fernzuhalten«, sagte Matthieu. »Ich habe ihn erst vor Kurzem unter meine Fittiche genommen, und seine Kanten sind noch, wie soll ich sagen, etwas rau.«
»Edmund hat kein Interesse an ihr«, sagte Mr Robinson. »Schon der Gedanke ist lächerlich.«
»Dem stimme ich zu«, sagte Matthieu mit einem Lächeln. »Mir scheinen die beiden auch nicht zusammenzupassen.«
»Dann sind wir ja einer Meinung«, sagte Martha. »Die Drakes sind nicht wirklich unser Fall.«
»So ist es«, sagten die beiden Männer und stießen mit ihr an.
»Es sind sowieso nur noch ein paar Tage«, fügte sie hinzu, »dann haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Allzu viel Reibereien wird Victoria in der Kürze der Zeit zwischen den beiden schon nicht entfachen können.«
Matthieu Zéla hob eine Augenbraue. Obwohl er seinen Neffen noch nicht so gut kannte, wusste er seinen Charakter doch einzuschätzen, gestützt auf ausreichend Erfahrung mit dessen Seite der Familie. Er glaubte zu wissen, dass bei ihm immer Ärger am Horizont lauerte. Sollte die
Montrose
ohne weitere Zwischenfälle in Quebec festmachen, dann wäre er froh, doch irgendwie bezweifelte er, dass es so kommen würde.
Inspector Dew spürte ihre brennenden Blicke auf seinem Körper, während er über das Deck der
Laurentic
spazierte. Die Passagiere starrten ihn flüsternd an, tauschten Blicke und fragten: »Ist er das? Ist das Dew?« Er fing an, sich wie eine Berühmtheit zu fühlen, wie ein bekannter Theaterschauspieler oder gar ein
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