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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Regierungsmitglied, und stellte fest, dass es ihm gefiel. Aus der relativen Anonymität seines Inspector-Daseins wurde, wenn auch sicher nur vorübergehend, Aufgeregtheit und Glanz, wobei er sich fragte, ob er die Leute nicht enttäuschte. Ob sie nicht einen größeren, jüngeren, besser aussehenden Mann erwartet hatten. Oder ob er genau das war, was sie wollten: ein älterer, sie durch seine bloße Anwesenheit beruhigender Gentleman mit scharfem Verstand und dem Wunsch, der Gerechtigkeit Genüge zu tun.
    Besonders die Kinder beobachteten ihn. Er spürte, wie sie rattengleich übers Deck huschten, sich hinter Rettungsbooten versteckten und hinter Liegestühle krochen, zugleich begeistert und voller Angst. Manchmal blieb er plötzlich stehen und fuhr herum, sah drei oder vier von ihnen beisammen, bleckte die Zähne und zischte. Darauf rissen sie beglückt und entsetzt die Augen auf und stoben kreischend auseinander. In ihrer Unschuld wussten sie noch nicht zwischen dem Verbrecher und seinem Jäger zu unterscheiden, für sie gehörten beide zu einem unheimlichen Zweierspiel, das sie nachts nicht in Schlaf fallen ließ.
    Einer der Seeleute hatte die Nachricht von seiner, Inspector Dews, Anwesenheit an Bord in Umlauf gebracht, und sie hatte sich in Windeseile unter den Passagieren verbreitet. Die meisten von ihnen hatten die Geschichte von Dr. Hawley Harvey Crippen und seiner ermordeten Frau Cora während der letzten Wochen in der Zeitung verfolgt. Landesweit war nach Crippen gefahndet worden, und jetzt unerwartet den Höhepunkt der Geschehnisse mitzuerleben, war eine aufregende Sache. Zunächst hatte Inspector Dew das fast schon besessene Interesse der Passagiere verunsichert, weil er fürchtete, es könnte bei der Verhaftung hinderlich sein, doch diese Sorge hatte sich schnell verloren. Dr. Crippen und seine Komplizin befanden sich auf einem anderen Schiff mitten auf dem Atlantischen Ozean; sie hatten keine Möglichkeit zu entfliehen, selbst wenn sie herausfänden, dass sie verfolgt wurden. Der einzige Grund, warum er Kapitän Kendall aufgefordert hatte, nichts zu unternehmen, bestand darin, dass er eventuellen Schwierigkeiten auf der
Montrose
vorbeugen wollte, bevor sie Kanada erreichte. Dass die Passagiere der
Laurentic
wussten, worum es ging, schadete niemandem. Schließlich verfolgte mittlerweile die ganze Welt den Fall, und er, Inspector Dew, wurde zu einem gefeierten Mann.
    »Haben Sie das gesehen?«, fragte Kapitän Taylor, nachdem er Dew in der kleinen Kabine, die ihm als Büro überlassen worden war, aufgestöbert hatte. Die Wände hingen voll mit den Seiten aus der Akte Crippen, darunter eine Polizeifotografie des Tisches in der Leichenhalle, auf dem man die verschiedenen ausgegrabenen Teile Cora Crippens wieder zusammengesetzt hatte. Tags zuvor hatte der Kapitän den Fehler gemacht, herausfinden zu wollen, was da eigentlich zu sehen war. Als es ihm dämmerte, spürte er seine Knie schwach werden. Heute vermied er jeden Blick in diese Richtung. »Es ist ein Funktelegramm aus London. Wie es aussieht, sind Sie ein ziemlicher Held. Die Zeitungen machen alle mit der Geschichte auf.«
    »Wirklich?«, fragte Dew erfreut staunend. »Was schreiben sie?«
    »Die
Times
sagt, es ist die abenteuerlichste Verbrecherjagd der Geschichte. Sie sollten zum Ritter geschlagen werden, wenn Sie Ihren Mann fassen, und der
Star
nennt Sie wegen Ihres Wagemuts den besten Polizisten Englands.«
    »Wegen meines Wagemuts?«, sagte er und strich sich zufrieden den Bart. »Nun, ich nehme an, das stimmt.«
    »
Le Monde
meint, man wird Sie nach Ihrer Rückkehr nach Paris einladen, um der Polizei dort zu erklären, wie man entflohene Mörder fängt.«
    »Eine Gratisreise nach Paris. Wie schön. Die werde ich genießen.«
    »Der
Michigan Daily Record
berichtet lang und breit über uns, weil Crippen da offensichtlich geboren ist. Denen scheint die Hoffnung zu gefallen, dass wir ihn vielleicht nicht mehr rechtzeitig erreichen.«
    »Aber natürlich werden wir das. Sie haben es mir doch versprochen, oder?«
    »Wir werden es schaffen, keine Sorge. Und die
Quebec Gazette
widmet der Sache gleich mehrere Seiten, mit Diagrammen, die erklären, wann genau Sie ihn verhaften werden. Sie scheinen zu denken, dass es eine große Ehre für Kanada ist. Ein riesiges Polizeiaufgebot wird dafür sorgen, dass es im Hafen zu keinen Ausschreitungen kommt, wenn die
Laurentic
und die
Montrose
ankommen.«
    »Danke, Kapitän«, sagte Dew. »Es ist gut zu wissen, dass

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