Der freundliche Mr Crippen | Roman
umzugehen.«
»Natürlich.«
In diesem Moment kam einer der Seeleute mit einer Notiz, die besagte, dass Billy Carter den Kapitän im Funkraum sprechen müsse. Kendalls Herz setzte einen Schlag lang aus, vielleicht war das die gefürchtete oder herbeigesehnte Nachricht. Er war enttäuscht, dass er nicht mehr aus Mr Robinson herausbekommen hatte. Wenn sich nur diese verwünschte Mrs Drake nicht an dessen Hacken gehängt hätte. »Ich muss mich entschuldigen«, erklärte er seinen Gästen. »Aber ich muss Sie leider verlassen.«
»Nun, danke, dass Sie uns diesen Teil des Schiffes gezeigt haben«, sagte Mr Robinson, der immer noch nicht recht wusste, warum er herbestellt worden war. »Es war äußerst interessant.«
»Ja, ganz herzlichen Dank, Kapitän«, sagte Mrs Drake.
»Aber bitte doch. Ich bin sicher, wir sehen uns später noch.« Er wollte sich schon abwenden, hielt aber noch einmal inne und sah Mr Robinson an. »Sie tragen so einen ungewöhnlichen Bart«, sagte er. »Mit rasierter Oberlippe. Ist das in London die neueste Mode?«
»Ganz und gar nicht«, sagte Mr Robinson. »Es ist allein meine Verschrobenheit.«
»Das ist fast wie bei den Amish in Amerika. Sie sind doch kein Amish?«
Mr Robinson ließ ausnahmsweise einmal ein Lachen hören. »Nein, Kapitän«, sagte er, »das bin ich nicht.«
»Tragen Sie ihn immer schon so?«
»Nein.«
»Haben Sie vor, sich auch wieder einen Schnauzbart wachsen zu lassen?«
»Nein.«
Ist es eine Lüge, dass Sie Mr John Robinson sind?, dachte Kendall. Sind Sie nicht eigentlich Dr. Hawley Harvey Crippen, der Mann, den die halbe Welt wegen Mordes an seiner Frau sucht, weil er sie zersägt und ohne Kopf im Keller seines Hauses vergraben hat?
»Kapitän, Sie sehen aus, als hätten Sie noch eine letzte Frage«, sagte Mr Robinson mit einem Lächeln. »Ist es so?«
Kendall überlegte. Ein Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, das Mr Robinson, das schwor er sich, nicht brechen würde. Er hielt Kendalls Blick mit einer Entschlossenheit stand, wie dieser sie nur selten verspürt hatte. »Nein«, murmelte der Kapitän schließlich und ging davon.
Abends saßen Mr Robinson, Miss Hayes und Monsieur Zéla an einem kleinen Tisch im Billardraum, tranken einen Brandy und genossen ihre Dreisamkeit. Es war ihnen gelungen, Mrs Drake und die jungen Leute abzuschütteln, und sie hatten eine Stunde lang Rommé gespielt, um Pennys. Martha Hayes hatte fast immer gewonnen.
»Ich habe das Gefühl, Mrs Drake wittert Skandale, wohin immer sie blickt«, sagte Martha. »Es ist fast so, als könnten wir kein Gespräch führen, ohne dass sie von einer Verlobung spricht, hinter der ich her bin. Sie hat mich auch schon mit Ihnen in Verbindung gebracht, Matthieu. Seien Sie auf der Hut. Offenbar bin ich hinter allem her, was ich kriegen kann, und wild entschlossen, mir noch vor Ende dieser Reise einen Ehemann an Land zu ziehen.«
»Wirklich?«, fragte er amüsiert. »Und wer wirft Ihnen das vor?«
»Die Tochter. Ernsthaft, die beiden sind so ein schreckliches Paar. Haben sie denn nichts Besseres zu tun, als sich ständig über andere Menschen die Mäuler zu zerreißen?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Matthieu. »Glauben Sie mir, ich habe in meinem Leben schon viele Frauen wie Antoinette Drake erlebt. Ihr Leben ist ziemlich leer, weil sie nichts haben, wonach sie streben können. Sie haben mehr Geld, als sie brauchen, und deshalb keine Träume oder Ziele mehr. Ihre Ehen sind lange schon leidenschaftslos, und ihre Kinder verachten sie, wie sie selbst auch ihre Kinder. Ich war einmal mit so einer Frau verheiratet. Vor langer Zeit. Sie hat mich so frustriert, dass ich manchmal das Gefühl hatte, sie erwürgen zu müssen.«
»Und, haben Sie?«, fragte Martha lächelnd.
»O nein. Ich habe mich von ihr scheiden lassen. Darauf steht nicht so viel Gefängnis.«
»Es ist keine Antwort, wissen Sie«, sagte Mr Robinson, dem nicht bewusst war, was der Alkohol auf leeren Magen in ihm auslöste. »Seine Frau umzubringen. Das löst keine Probleme.«
»Natürlich nicht, John«, sagte Martha. »Wir machen nur Spaß.«
»Trotzdem tun es die Leute immer wieder«, sagte er, »und sie kommen damit davon.«
»Ich mag keine Gewalt«, sagte Matthieu Zéla, steckte sich eine Zigarre an und lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Ich habe in meinem Leben schon viele Leute einen gewaltsamen Tod sterben sehen, und es wird nicht leichter.«
»Was machen Sie eigentlich genau?«, fragte Martha
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