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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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das alles nicht umsonst ist.«
    »Hoffen wir nur, dass Sie den richtigen Mann im Visier haben«, sagte der Kapitän. Die spontan hingesagten Worte erfüllten Dew mit Sorge.
    »Sicher habe ich das«, sagte er. »Er muss es sein.«
    Je näher sie ihrer Beute kamen, desto öfter wurde Dew von finsteren Befürchtungen heimgesucht, dass dieser Mr John Robinson nicht der Mann war, mit dem er, Dew, am Hilldrop Crescent in Camden eine erste Freundschaft geschlossen hatte. Sosehr ihn das weltweite Interesse an der Geschichte auch freute, so sehr fürchtete er doch die Demütigung, die es bedeuten würde, sollte sich herausstellen, dass er den Falschen gejagt hatte. Das würde kaum zu ertragen sein. So gut wie sicher würde er dann vom Polizeipräsidenten degradiert werden, weil er den Yard in den Augen der Öffentlichkeit zum Narren gemacht hatte. In den Augen der
Welt.
Dann würde es keinen Ritterschlag geben, keine Einladung nach Paris, und auf der Rückreise nach England würde er den Spott der übrigen Passagiere ertragen müssen, statt ihren Applaus zu hören. Ich jage einfach nur einen mutmaßlichen Mörder, dachte er, und doch scheint meine ganze Zukunft davon abzuhängen.
    Um sich dem Zentrum der spannenden Jagd näher zu fühlen, traten einige Passagiere mit lächerlichen Fragen an ihn heran. Andere wollten Einzelheiten wissen über den bisherigen Gang der Ermittlungen, die er natürlich nicht preisgeben durfte, auch wenn er ihnen ein paar Krumen hinwarf, um die Quälgeister bei Laune zu halten. Wieder andere lechzten nach schauerlichen Erläuterungen, wie genau dieser Dr. Crippen seine Frau zerstückelt hatte, oder hatten Vorschläge zu machen, was das Auffinden des fehlenden Kopfes betraf.
    »Haben Sie in den Mülleimern nachgesehen?«, fragte einer. »Da würde ich den Kopf meiner Frau hineinwerfen, wenn ich ihn ihr abgeschlagen hätte.«
    »Und der Ofen?«, fragte ein anderer. »Vielleicht hat er ihn darin gekocht.«
    »Was ist mit dem Kamin?«
    »Oder unter einem Baum vergraben?«
    »Ich habe gehört, er hat ihn gegessen«, verkündete eine Frau, die das Makabre ganz besonders liebte, und machte auch keinen Rückzieher, als ihre Mitpassagiere sie sprachlos anstarrten. »Überlegen Sie doch mal«, sagte sie. »Nur so konnte er sicher sein, dass ihn niemand je finden würde. Wenn er den ganzen Körper einer Frau, ohne sich groß Gedanken zu machen, in kleine Teile zersägen kann, schafft er das sicher auch mit dem Kopf, kocht sich einen Eintopf daraus und isst ihn auf. In so einem Kopf ist viel gutes Eisen, das sage ich Ihnen.«
    »Bitte«, sagte Inspector Dew, dessen Magen sich bei dem bloßen Gedanken umzudrehen drohte. »Ich glaube, jetzt geht Ihre Fantasie etwas mit Ihnen durch.«
    Darauf aus, Zeit mit dem Inspector zu verbringen und ein wenig vom Glanz der Geschichte abzubekommen, berichteten ihm einige Leute von kleineren Vergehen an Bord der
Laurentic.
Halsketten verschwanden, Mäntel wurden aus Liegestühlen gestohlen, Geldscheine aus Brieftaschen entwendet.
    »Das fällt nicht in meinen Zuständigkeitsbereich«, sagte Dew, wann immer ihm jemand von solch einem Geschehnis berichtete. »Da müssen Sie mit Kapitän Taylor reden.«
    »Aber Sie sind von Scotland Yard«, protestierten sie. »Da können Sie doch sicher etwas tun.«
    »Ich bin auf der Jagd nach einem Mörder«, beschied er sie dann. »Für anderes bin ich an Bord dieses Schiffes nicht zuständig. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen.«
    Das befriedigte die Leute nicht, doch er gab nicht nach. Ein spätabendlicher Besuch bei Kapitän Taylor am 25 . Juli hob seine Laune dann wieder erheblich.
    »Wir sind auf dem besten Weg«, bestätigte ihm der Kapitän, der gerade seine Karten studierte. »Wie mir scheint, passieren wir die
Montrose
am Abend des 27 ., also übermorgen. Sollen wir Kapitän Kendall telegrafieren, dass Sie zu ihm an Bord kommen?«
    Dew überlegte. »Wie würde das gehen?«, fragte er.
    »Wir können ein Boot zu Wasser lassen, einer meiner Männer rudert Sie hinüber, und Sie gehen drüben an Bord.«
    Dew schüttelte den Kopf. »Ich denke, nein«, sagte er. »Worauf es ankommt, ist, dass wir sie überholen. Das Letzte, was ich brauche, sind drei Tage an Bord der
Montrose
mit Kurs auf Kanada, um dort dann wieder umzudrehen. Ich glaube, es ist das Beste, Dr. Crippen bis zum letztmöglichen Zeitpunkt in Sicherheit zu wiegen.«
    »Was sollen wir also machen?«
    »Wir warten bis zum Tag ihres Einlaufens in den Hafen. An dem

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