Der freundliche Mr Crippen | Roman
es uns so nahe kommt. Man sollte nicht denken, dass man mitten auf dem Ozean ein anderes Schiff zu sehen bekommt. Aber wahrscheinlich kreuzen dieser Tage immer mehr Passagierdampfer den Atlantik.«
»So wird es sein«, sagte sie. Etliche Passagiere versammelten sich entlang der Reling, als sich die Nachricht vom Näherkommen der
Laurentic
an Bord verbreitete. Nach mehr als einer Woche auf See war es eine willkommene Abwechslung für die Leute, ein fremdes Schiff zu sehen, und sie wedelten mit ihren Taschentüchern durch die Luft und riefen Grüße über das Wasser, obwohl sie durch das Rauschen der Wellen und den Lärm der Maschinen unmöglich zu hören sein würden.
»Das Schiff muss um einiges schneller sein als unseres«, sagte Mr Robinson. »Es muss die ganze Zeit hinter uns gewesen sein und scheint uns tatsächlich zu überholen. Wahrscheinlich kommt es ein oder zwei Tage vor uns in Kanada an.«
»Die Glücklichen«, sagte Miss Hayes. »Ich kann es kaum erwarten, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Geht es Ihnen nicht ähnlich, Mr Robinson?«
Er stimmte ihr zu, aber insgeheim genoss er das Leben an Bord der
Montrose
mittlerweile. Es gab seinen Tagen eine einfache Struktur und verlief ohne Störungen. Er und Edmund hatten schon viele schöne gemeinsame Augenblicke erlebt, und trotz der Ereignisse des vorangegangenen Abends, als er beinahe Tom DuMarqué über Bord geworfen hatte, war die Reise alles in allem äußerst angenehm verlaufen. Was die Zukunft in Kanada für ihn bereithielt, wusste er nicht. Nach zwei Ehen war er nicht sicher, ob eine Heirat für ihn überhaupt das Richtige war, auch wenn er glaubte, dass ihn Ethel (im Gegensatz zu Charlotte und Cora) tatsächlich liebte.
»Sehen Sie nur all die Menschen an Deck drüben«, sagte Martha Hayes und wunderte sich, wie viele Passagiere der
Laurentic
sich an der Reling drängten und ihnen zuwinkten. »Haben die nicht genug Kabinen?«
Mr Robinson kniff leicht die Augen zusammen. »Denen muss noch langweiliger sein als uns hier«, sagte er. »Ein anderes Schiff zu sehen, hat sie alle hervorgeholt. Ich werde allerdings nicht gerne so begafft, wie ich zugeben muss. Da komme ich mir vor wie auf einer Bühne.«
»Die scheinen ganz begeistert zu sein«, sagte Martha.
»Können Sie ihn sehen?«, fragte Kapitän Taylor. »Können Sie ihn an Deck ausmachen?«
»Nein«, sagte Inspector Dew und starrte durch das Fernrohr. »Nein, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Das wäre zu viel verlangt. Da sind viel zu viele Menschen an Bord.«
»Wir sind nahe genug, Steuermann«, rief Taylor. »Halten Sie uns auf Kurs und immer geradeaus.«
»Ich warte auf meine Gelegenheit«, sagte Dew und nickte. »Er ist da drüben irgendwo. Ich spüre es. Er wird mir nicht entkommen, ich erwische ihn.«
»Ich habe noch nie eine solche Aufregung erlebt«, sagte Martha Hayes und wunderte sich über die wild herumhüpfenden Gestalten, die sich benahmen, als hätten sie noch nie ein anderes Schiff und andere Menschen gesehen. Eine ganze Reihe von ihnen tat so, als würden sie aufgehängt, reckten die Hälse und drückten die Zungen aus dem Mund, als baumelten sie am Ende einer Schlinge. »Das ist wirklich seltsam«, sagte sie. »Wenn Sie mich fragen, sieht es aus, als wäre es ein Schiff voller Verrückter. Sehen Sie das?«
»Das Meer hat sie verrückt werden lassen«, sagte Mr Robinson, legte sich zurück in seinen Liegestuhl und schloss die Augen, um sein kleines Schläfchen fortzusetzen. »Das Beste ist, sie zu ignorieren. Sie sind wie Tiere im Zoo. Je mehr Beachtung sie bekommen, desto verrückter werden sie.«
»Hm«, sagte Martha Hayes wenig überzeugt. »Es ist schon sehr komisch. Ich habe so etwas ehrlich noch nicht gesehen.«
»Ich würde mir wegen denen keine Gedanken machen, meine Liebe«, antwortete Mr Robinson. »Sie werden uns hinter sich zurücklassen, und wir sehen sie nie wieder. Aber was meinen Sie, ob uns einer der Schiffsjungen etwas zu trinken bringen würde?«
Kapitän Kendall befand sich auf der Brücke und sah zusammen mit dem Ersten Offizier Billy Carter zur vorbeifahrenden
Laurentic
hinüber. Am Steuer der
Montrose
stand Mannschaftsmitglied Mark Dawson, der schon seit fünfzehn Jahren auf den Schiffen der Canadian Pacific fuhr und sich achtmal um eine Beförderung bemüht hatte, die ihm aber jedes Mal verweigert worden war. Das hatte ihn bitter werden lassen, und er hasste Carter dafür, dass er den kranken Mr Sorenson
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