Der freundliche Mr Crippen | Roman
und kümmern sich um ihre eigenen Angelegenheiten.«
Unglücklicherweise war Louise Smythson mit einer besonderen Art von Argwohn ausgestattet. Das Telegramm schockierte sie, obwohl sie nach Coras schändlichem Verhalten ein paar Monate zuvor nicht die Absicht gehabt hatte, weiter Kontakt mit ihr zu pflegen, und so besprach sie die Angelegenheit umgehend mit ihrer Freundin Mrs Margaret Nash, die sie über das zufällige Treffen mit Hawley und Ethel in der Pause des
Sommernachtstraums
informierte, und über die Sache mit dem Schmuck. Da Louise eine Frau war, die über jeden schlecht denkt, bis ihr das Gegenteil bewiesen wird, entschied sie, Hawleys Telegramm auch nicht einen Moment lang zu glauben. Ihre lebhafte Fantasie sagte ihr, dass ihrer ehemaligen Freundin etwas angetan worden war.
Louise beendete ihr Zerwürfnis mit Cora und beschloss, (vorübergehend) wieder ihre beste Freundin zu sein und schon am nächsten Tag Scotland Yard einen Besuch abzustatten, wo sie zum ersten Mal auf Walter Dew traf und dem ungläubigen Inspector von ihrer Besorgnis erzählte.
In der Zwischenzeit beendeten Hawley und Ethel ihren Paris-Aufenthalt und kehrten nach London zurück, ohne eine Ahnung zu haben von den Verschwörungstheorien, die in ihrer Abwesenheit aufgekommen waren.
28. MAI
Sie besaß nicht viel, aber was sie besaß, hatte sie mit nach 39 Hilldrop Crescent gebracht. Dazu gehörten zwei Koffer, ihre Sammlung Souvenir-Teekannen und eine fest verschlossene Hutschachtel, die, wie sie Hawley erklärte, ihre persönlichsten Dinge enthielt und nicht für seine Augen bestimmt war.
Hawley hatte mehrere Wochen gewartet, bevor er ihrem Vorschlag zustimmte, die Wohnung in dem Haus, in dem sie aufgewachsen war, aufzugeben und zu ihm zu ziehen. Er machte sich Sorgen, was die Nachbarn sagen könnten und wie sich ein möglicher Skandal auf das Geschäft von Munyon’s Homeopathic Medicines auswirken mochte.
»Aber sie ist in Amerika, Hawley«, protestierte Ethel. »Mit ihrem neuen Geliebten. Es tut mir leid, es so unverblümt zu sagen, aber so ist es. Sie hat in ihrem Brief selbst geschrieben:
Bitte versuche nicht, mich zu finden, wir werden uns nie wiedersehen.
Du musst sie beim Wort nehmen. Wenn sie das tun kann, warum du nicht?«
»Die alte Königin mag ja seit zehn Jahren tot sein«, sagte er, »aber wir leben immer noch in einer Zeit viktorianischer Werte. Es würde einen Skandal geben.«
»Hawley, ich verbringe jetzt schon praktisch jede Nacht hier. Es würde sich nicht viel ändern, ich würde nur meine Sachen herbringen, damit ich nicht alle paar Tage nach Hause muss, um mir was Frisches zum Anziehen zu holen.«
Er seufzte. Er wusste, sie hatte nicht ganz unrecht. Seit er Coras Brief bekommen und Ethel von seinem Inhalt erzählt hatte, fühlte er sich viel entspannter, was ihre neue Beziehung betraf, trotzdem machte er sich noch Sorgen. Wenn es auch kein Geheimnis gewesen war, dass sie eine unglückliche Ehe geführt hatten, hatte er doch darauf bestanden, ihre Freundinnen darüber zu informieren, dass sie nach Amerika gegangen war, um sich um ihren kranken Onkel zu kümmern. Später dann hatte er ihren Tod verkündet. Nur so, glaubte er, konnte er seine Ehre bewahren. Über Coras Untreue während ihrer Ehe hatte er hinweggesehen, dass sie ihn wegen eines anderen verlassen hatte, war mehr, als er ertrug.
»Wir dürfen jetzt glücklich sein, Liebling«, versuchte Ethel ihn zu überzeugen. »Ohne sie. Und bald kannst du dich von ihr scheiden lassen, und wir können heiraten.«
»Ich wünsche mir das mehr als alles andere«, sagte er. »Das weißt du. Also, wenn du wirklich hier einziehen und dir das Unglück antun willst, mit einem ältlichen Griesgram zusammenzustecken, wie soll ich dich dann davon abhalten?«
Überglücklich zog sie am nächsten Tag ein.
Sie genossen eine harmonische Zeit. Bei Munyon’s behielten sie alles bei wie gehabt, nur fing Ethel an, früher zu gehen als Hawley, um zu Hause für ihn zu kochen. Ihr gefiel der Gedanke, eine pflichtbewusste Hausfrau zu sein, und sie genoss ihre neue Rolle.
Seine Zahnarztpraxis hatte er schon vor Monaten aufgegeben, als endgültig keine Patienten mehr gekommen waren. Stattdessen hatte er den Trost der Wirtshäuser gesucht und stundenlang getrunken, bevor er sich Coras Beschimpfungen und Geschrei ausgesetzt hatte.
Das war jetzt anders. Jetzt verließ er Munyon’s um Punkt sechs und rannte praktisch nach Hause. Alles dort schien verändert. Ethel
Weitere Kostenlose Bücher