Der freundliche Mr Crippen | Roman
passieren würde.«
»Mr Micklefield, meine Frau und ich wohnen hier seit Jahren, und wir haben Ihnen nie Probleme bereitet. Sie können diese kleine Indiskretion doch sicher übersehen.«
»Nein, Sir, es tut mir leid. Wenn Sie Ihren Vertrag lesen, werden Sie sehen, dass ich Ihnen jederzeit kündigen kann, und das tue ich hiermit. Sie haben zwei Monate, etwas Neues zu finden. Das heißt, Sie haben Zeit bis … lassen Sie mich rechnen …«, er dachte kurz nach, »bis Ende Juli. Womit ich äußerst großzügig bin, schließlich haben wir erst Mai. Das heißt, Sie haben Zeit genug, etwas anderes zu finden. Sie und Ihr hübsches Ding.«
»Ich bin kein hübsches Ding von jemandem«, sagte Ethel zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Hawley und ich, wir lieben uns und wollen heiraten.«
»Das ist Ihre Sache, die Sie Mrs Crippen bei ihrer Rückkehr erklären können. Für die Ärmste tut es mir leid. Sie pflegt einen kranken Verwandten, und Sie nutzen die Situation hinter ihrem Rücken aufs Schändlichste aus. Ja, genau das ist es, eine Schande.«
»Bitte, Mr Micklefield«, bettelte Hawley. »Wir sind wirklich sehr …«
»Ich will nichts weiter hören«, sagte der Vermieter und ging zur Tür. »Ende Juli und keinen Tag später. Und seien Sie dankbar, dass ich Mrs Crippen nicht persönlich verständige. Einen guten Tag noch, Sir.« Damit stürmte er hinaus. Die beiden Liebenden blieben zurück und starrten sich traurig an.
»Nun, das war eine klare Aussage«, sagte Hawley. Er hielt es für reichlich scheinheilig von Mr Micklefield, so hohe moralische Grundsätze zu predigen, nachdem der Vermieter Cora in der Vergangenheit immer wieder zweideutige Angebote gemacht hatte.
»Warum hast du gesagt, sie sei in Amerika?«, fragte Ethel. »Wo wir ihren Freundinnen doch erzählt haben, dass sie tot ist?«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht daran gedacht. Ich komme mit den Lügen nicht mit, das bringt mich alles durcheinander. Aber vielleicht ist es das Beste so, schließlich wollen wir neu anfangen, und warum muss das in diesem Haus sein?«
»Weil ich es hier mag«, sagte Ethel, der bei der Aussicht auf das, was damit vor ihnen lag, ganz schlecht wurde.
»Ich mag das Haus auch, aber es ist für mich auch mit vielen unangenehmen Erinnerungen verbunden. Was immer du auch tust, Ethel, es wird immer mehr Coras Zuhause sein als deines. Ich verstehe ja, dass das gerade nicht schön war für dich, und dafür entschuldige ich mich, aber in einem neuen Haus wird es uns besser gehen. Vertraue mir. Wenigstens werden wir Cora damit endgültig hinter uns lassen.«
Sie nickte, hörte ihm aber kaum mehr zu, sondern war ganz mit dem Problem im Keller beschäftigt. Erst nach einer ganzen Weile fuhr sie aus ihren Gedanken auf. »Was?«, fragte sie. »Was hast du gesagt?«
»Ich sagte, das Ganze hat zumindest ein Gutes«, wiederholte er. »Er hat vergessen, seine Miete mitzunehmen.«
17. JUNI
»Das«, murmelte er leise, als er sich umdrehte und den Weg nach Hause einschlug, »ist ganz und gar noch nicht vorbei.« Hawley Crippen ging von seinem Essen mit Inspector Walter Dew nach Hause und machte sich Sorgen über die Zukunft. Zunächst war er überrascht gewesen, als der Inspector vor der Tür gestanden und sich nach dem Verbleib von Cora erkundigt hatte. Wenn Dew es auch nicht zugegeben hatte, bestand für Hawley doch kein Zweifel daran, dass Mrs Louise Smythson mit ihrer lächerlichen Fantasie bei ihm gewesen war. Wer wusste, was sie ihm gegenüber an Vermutungen vorgebracht hatte? Allerdings glaubte Hawley, in Inspector Dew eine verwandte Seele gefunden zu haben, die nach nichts anderem als einer vernünftigen Erklärung suchte, und darum hatte ihm Hawley am Ende die Wahrheit anvertraut: dass Cora nicht nach Amerika gefahren war, um einen kranken Verwandten zu pflegen, sondern dass sie ihn für einen anderen Mann verlassen hatte. Es war demütigend, aber es war die Wahrheit. Zum Glück schien der Inspector seine ursprüngliche Notlüge nicht weiterzuverfolgen, sondern Hawleys Erklärung zu akzeptieren.
Aus einem ihm unverständlichen Grund jedoch hatte er dem Inspector gesagt, er kenne den Namen des Mannes, mit dem Cora durchgebrannt sei, und Dew hatte klargemacht, dass er ihn brauche, um die Akte schließen zu können. Das brachte Hawley in eine Zwickmühle, wusste er doch weder den Namen des Mannes noch hatte er den Brief aufbewahrt, in dem Cora ihm ihre Pläne
Weitere Kostenlose Bücher