Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
öffnete abends die Fenster, um frische Luft hereinzulassen, und schaltete das Licht in allen Räumen ein, selbst in denen, die sie nicht benutzten. Wenn sie in der Küche arbeitete, hörte sie auf dem kleinen Grammofon, das er ihr gekauft hatte, Musik und sang mit ihrer süßen Stimme mit (sie war viel süßer als Coras, die sich für eine professionelle Sängerin gehalten hatte). Auf dem Wohnzimmertisch standen immer frische Blumen, deren Duft Hawley schon beim Eintreten roch. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, wirkliches Glück gefunden zu haben.
    Eine erste Unstimmigkeit kam auf, als der Vermieter Mr Micklefield eines Abends kam, um die Miete zu kassieren. Er betrat das Haus ohne Anklopfen und überraschte Hawley und Ethel in der Küche, wo sie gemeinsam abwuschen und sich gerade küssten.
    »Dr. Crippen!«, rief Mr Micklefield in übertriebenem Ton. »Ich kann es nicht glauben!«
    »Mr Micklefield«, sagte Hawley, drehte sich überrascht um und verfluchte sein Pech. Zu Anfang der Woche hatte er noch daran gedacht, dass die Miete in ein paar Tagen fällig war, und beschlossen, Ethel während der Zeit zu einer Besorgung in die Stadt zu schicken. Allerdings hatte er es dann wieder völlig vergessen und sah sich nun einem wütenden Vermieter gegenüber, der Ethel mit kaum verhohlener Verachtung betrachtete.
    »Darf ich fragen, was hier vorgeht?«, fragte der Mann mit gespielter Entrüstung, und seine Stimme nahm etwas Gestelztes an, um seine Betroffenheit noch zu unterstreichen. »Diese Frau ist nicht Mrs Crippen.«
    »Mrs Crippen ist im Moment nicht anwesend«, sagte Hawley und warf einen nervösen Blick auf die blass gewordene Ethel.
    »Ist sie das nicht? Und während sie fort ist, verhalten Sie sich so? Schämen Sie sich, Doktor. Ich hätte wirklich anderes von Ihnen erwartet.«
    »Darf ich fragen, wer Sie sind?«, sagte Ethel, die sich langsam erholte und einen Schritt näher trat. Sie fragte sich, was ein völlig Fremder da plötzlich in ihrem Wohnzimmer machte, der gleich auch noch den Stab über sie brach.
    »Das dürfen Sie ganz gewiss, Miss«, antwortete er. »Mein Name ist Joseph Micklefield, mir gehört dieses Haus, und wenn ich mich recht erinnere, habe ich es an Dr. und Mrs Crippen vermietet und an niemanden sonst.«
    »Mrs Crippen ist in Amerika«, sagte Hawley.
    »Das sagen Sie.«
    »Mr Micklefield, ich muss mich entschuldigen«, fuhr er fort. »Meine Frau ist in Kalifornien, um sich um einen kranken Verwandten zu kümmern. Ich denke, sie wird noch eine Weile dort sein.«
    »Und das rechtfertigt so etwas?«, fragte der Vermieter. »Es tut mir leid, Doktor, doch ich kann das in einem meiner Häuser nicht billigen. Ich besitze eine ganze Reihe Häuser in dieser Straße, wie Sie wissen, Sir, und wenn das hier bekannt wird, nun, dann weiß ich nicht, ob ich am Ende überhaupt noch einen einzigen Mieter habe. Die Leute werden glauben, ich heiße diese Spielereien gut.«
    »Ach, kommen Sie«, sagte Ethel, die sein Puritanismus reizte. »Als wenn das irgendwem etwas ausmachen würde.«
    »
Mir
macht es etwas aus, vielen Dank auch«, sagte Micklefield mit erhobener Stimme, da ihm der Ton nicht gefiel, den sie anschlug.
    »Genau wie mir«, sagte Hawley und hoffte, ihn beschwichtigen zu können. »Miss LeNeve ist einfach eine Freundin, die mir …«
    »Sie kommt mir aber schon wie eine
sehr
gute Freundin vor, wenn Sie mich fragen«, sagte Mr Micklefield. »Das war nicht gerade eine reine Freundschaftsgeste, bei der ich Sie bei meinem Hereinkommen überrascht habe.«
    »Wenn Sie es mich nur erklären lassen würden …«
    »Da muss nichts erklärt werden, Sir«, sagte der Vermieter und hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. »Ich habe eine Liste so lang wie mein Arm, voll mit Namen von Leuten, die meine Häuser mieten wollen. Es tut mir leid, Sir, aber ich muss Ihnen kündigen.«
    »Doch sicher nicht?«, sagte Ethel, die bei dem Gedanken ganz blass wurde. Was würde geschehen, wenn die neuen Mieter den Keller benutzen wollten? Hawley hatte in all den Jahren keinen Fuß hineingesetzt, doch es gab keine Garantie, dass es seine Nachfolger genauso halten würden. Vielleicht wollten sie dort unten etwas abstellen? Es würde sie sicher überraschen, eine zerstückelte Leiche unter den Bodenplatten zu finden.
    »Ich bin ein guter Christ«, antwortete Mr Micklefield, »und mein Schwager ist zufällig der Bischof von Wakefield. Wenn er davon erführe, nun, ich möchte nicht sagen, was dann

Weitere Kostenlose Bücher