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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Was würde ich nicht alles geben für ein Häppchen von ihm, dachte sie.
     
    »Weswegen bist’n du hier, Schätzchen?«, wollte eine junge Frau wissen, die ein paar Plätze von ihr entfernt hockte. Louise saß aufrecht vorne auf ihrem Stuhl und verdrehte die Augen, ohne den Kopf zu bewegen. Sie überhörte die Frage und hoffte, die Frau würde von sich aus das Interesse verlieren. »Ich frage, weswegen du hier bis’«, wiederholte die Frau jedoch. »Haste nich’ gehört?«
    »Ich habe Sie bestens verstanden, vielen Dank«, sagte Louise und bemühte sich, so vornehm wie nur möglich zu klingen, so als würde das die junge Frau schon verstummen lassen. »Und ich muss doch bitten, ich bin im Moment nicht imstande zu kommunizieren.«
    »Oh, bla-di-bla und etepetete«, sagte die Frau, eine gewisse Mary Dobson, mit leiernder Stimme. »Schon kapiert.«
    »Danke«, sagte Louise und nickte leicht, als hätte man ihr ein Kompliment gemacht. Ein paar Minuten lang blieb es still, und sie dachte schon, das Schlimmste sei überstanden, doch da erhob sich Mary Dobson und setzte sich, ohne um Erlaubnis zu fragen, direkt neben sie. Ließ sich auf den Stuhl plumpsen, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück.
    Mary musterte Louise von Kopf bis Fuß, sah die sauberen Spitzenhandschuhe und wie elegant ihr Kleid gearbeitet war. »Ich muss jede Woche herkomm’n, weiß’ du«, sagte sie, als führten sie ein Gespräch fort, das schon eine Weile im Gang war. »Muss ihnen sagen, was ich gemacht und was ich gearbeitet hab und so. Sie sagen, sie müssen ’n Auge auf mich hab’n, obwohl ich sag, dass ich nich’ versteh, warum, weil ich doch nichts tu, was nich’ auch die anderen nich’ tun, und ich weiß, was meins iss und was nich’. Ich verwechsle da nichts mehr. Nich’ wie früher …«
    »Entschuldigung, wenn ich bitten dürfte?«, sagte Louise und zog ihr Kleid an sich heran, auf dessen Rand sich Mary Dobson gesetzt hatte. Sie zog es unter der jungen Frau hervor und starrte angeekelt auf den Stoff, der nun gebügelt werden musste. Oder vielleicht musste sie das Kleid auch ganz ausrangieren.
    »Bitten darf mich jeder«, sagte Mary Dobson. »Ich wette, du komms’ von hinter der King’s Road, stimmt’s?«
    »Von hinter der …?«
    »Mich führs’ du nich’ hinters Licht«, sagte Mary mit einem bewundernden Lachen. »Ich erkenn ’ne Edelhure, wenn ich sie seh. So machs’ du ’s Geld, denke ich, und viel Glück auch dabei, sag ich. Weil du weiß’, was so ’n Gentleman will. Nich’ wie ich. Ich geb den’n was hinten drauf und kitzle sie, wie geht’s ’n so, pack sie, küss sie, knall sie. Iss mir egal, macht dann Sixpence, bitte, und ’n schönen Dank auch.«
    »Ich weiß nicht,
was
Sie da ausdrücken wollen, Miss«, sagte Louise außer sich, obwohl sie es doch genau wusste. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich …«
    »Äh, zu was zähls’ du die beiden dann da drüben?«, fragte sie, wechselte kommentarlos das Thema und nickte zu einem mittelalten Paar in der Ecke hinüber. Die Frau hatte ein blaues Auge, und der Mann blickte ziemlich elend drein. »Das wird wohl das sein, was die ’ne häusliche Aus’nandersetzung nenn’n, denk ich«, sagte Mary.
    »Ich mische mich nicht in die Angelegenheiten anderer Leute ein«, sagte Louise. »Ich halte das für kein angemessenes Verhalten. Vielleicht könnten Sie sich das auch zu Herzen nehmen.«
    »Ach, iss das so?«, sagte Mary, die ihr nicht folgen wollte. »Also dann, wenn du so was Besond’res bist, was machs’ du dann hier?«
    »Ich bin hier«, sagte Louise, glücklich, dass sie die Dinge zurechtrücken konnte, »weil eine gute Freundin von mir verschwunden ist und ich die Sache anzeigen will.«
    »Und wo iss ihr Mann? Warum iss der nich’ hier, um die Sache anzuzeig’n?« Mary hob zum Ende ihrer Frage hin die Nase und machte Louise nach.
    »Genau deshalb mache ich mir Gedanken. Weil er sich keine macht«, erklärte Louise. »Deshalb bin ich hergekommen, verstehen Sie? Um die Polizei über ihr Verschwinden zu informieren.«
    »Ich hatte gedacht, sich nich’ in andrer Leute Angelegenheiten einzumisch’n wär das angemess’ne Verhalten. Muss ich mich da wohl verhört ha’m, wie?«
    Louise sah die Frau mit einem Knurren an und beugte sich so weit vor, dass nur sie es hören konnte. »Warum verpisst du dich nicht auf einen anderen Platz, du stinkende kleine Nutte«, flüsterte sie. »Verpiss dich, bevor ich dir eine reinhaue.«
    Mary Dobson

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