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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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herumschlagen und als wäre es höchste Zeit, dass die Constables im Wachraum lernten, Frauen wie Louise wieder nach Hause zu schicken.
    »Nun, das sicherlich auch«, gab Louise zu. »Aber das muss er mit seinem Gewissen ausmachen, und die bessere Gesellschaft wird schon wissen, wie sie damit umzugehen hat. Selbstverständlich können mein Mann und ich mit so jemandem keinen Kontakt mehr pflegen.«
    »Selbstverständlich nicht.«
    »Nein, die Sache ist, dass ich einfach nicht glaube, Cora Crippen würde nach Amerika fahren und ihren Schmuck hier zurücklassen. Das ergibt keinen Sinn, Inspector.«
    Dew überlegte einen Moment lang und nickte dann. »Dieser Crippen«, fragte er, »was für ein Mensch ist das?«
    »Oh, ich würde sagen, er ist ein ganz ehrbarer Mann«, gab sie widerwillig zu.
    »Er ist nicht von der gewalttätigen Sorte? Hatte er noch keine Probleme deswegen?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Obwohl ich gehört habe, dass er bereits einmal verwitwet war, als er Cora geheiratet hat. Könnte da mehr dahinterstecken? Mein Mann – Nicholas Smythson, wissen Sie? Vielleicht wird er eines Tages Lord Smythson – mein Mann nennt ihn ein Milchgesicht. Er mag ihn nicht. Mein Typ ist er auch nicht, aber unbedingt verdächtig wirkt er nicht. Trotzdem … zwei Frauen, beide tot. Da muss man sich doch fragen, oder? Er schien mir immer sehr ruhig, fast
zu
ruhig, wenn Sie wissen, was ich meine. Er hatte etwas, was mich misstrauisch gemacht hat. In seinen Augen, Inspector. Das ist ein Tipp für Sie. Sie erkennen einen Mörder immer am Ausdruck in seinen Augen!«
    Völlig unvermittelt schlug Inspector Dew jetzt sein Notizbuch zu, stand auf und zog Mrs Smythson förmlich von ihrem Stuhl hoch. Er schob sie zur Tür. »Es war sehr gut, dass Sie gekommen sind und Ihren Bedenken Ausdruck gegeben haben«, sagte er. »Aber ich habe nicht den Eindruck, dass es da etwas gibt, weswegen Sie sich Sorgen machen sollten. Wenn eine Frau in Amerika gestorben ist, dann ist sie in Amerika gestorben. Das liegt nicht in unserem Zuständigkeitsbereich. Und was sie mit ihrem Schmuck gemacht hat, als sie England verlassen hat, nun, das ist …«
    »Aber, Inspector, kommt es Ihnen nicht wenigstens ein bisschen seltsam vor?«, fragte Louise gereizt. Ihr gefiel ganz und gar nicht, wie sie da aus der Tür und den Flur hinunter befördert wurde, als wäre sie eine hysterische Alte oder gar eine gemeine Kriminelle.
    »Nicht unbedingt«, sagte er. »Vor allem gibt es da keinen Fall, Mrs Smythson. Ich würde vorschlagen, Sie gehen zurück nach Hause und denken noch einmal über alles nach. Lassen Sie die arme Frau in Frieden ruhen, und wenn Dr. Crippen die Gesellschaft einer anderen Frau wünscht, ist das seine Sache. Ich verstehe, dass Sie eine Freundin der Verstorbenen waren, aber …«
    »Aus dem Grund bin ich
nicht
hier«, protestierte Louise. »Deswegen bin ich nicht wütend.«
    »Danke, Mrs Smythson. Ich bin froh, dass ich Ihnen helfen konnte.«
    Schon fand sie sich ohne weitere Förmlichkeiten vorn im Wachraum wieder. Sie war schockiert, so gleichgültig und abfällig behandelt worden zu sein, und spürte die Röte in ihren Wangen, als die Leute zu ihr herüberstarrten.
    Ganz hinten aus dem Raum krähte eine Stimme zu ihr herüber, die sie als die von Mary Dobson erkannte. Der ganze Raum hörte, was die Frau da rief: »Keine Sorge, Süße. Die Polypen hol’n Profess’nielle nur her, um ihn’ ’n Vortrag zu halten. Das erste Mal sowieso. Wenn du in dei’m Revier bleibs’, tun sie dir nix. Versuch’s das nächste Mal beim Leicester Square oder in Covent Garden. Da iss immer Platz für Upperclass-Hur’n wie dich.«
    Mrs Louise Smythson, die in Richtung Adel schielte, spürte, wie ihr der Mund offen stand, während ein Raum voller Leute sie von Kopf bis Fuß musterte und überlegte, was sie wohl kosten mochte.
    »Das habe ich nie getan«, sagte sie laut, stürmte durch die Tür hinaus auf die Straße und drehte sich noch einmal um, als hätte das Gebäude selbst ihr den Tag verdorben. »Ihr ist Gewalt angetan worden!«, schrie sie hinauf zu den Fenstern im obersten Stock und vergaß ein weiteres Mal ihren vornehmen Akzent. »Sie werden schon drauf kommen, Inspector, und dann soll ich Ihnen sicher die Einzelheiten erklären. Aber das werde ich verdammt noch mal nicht tun!«

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    4  Der erste Fehler
    Detroit, Utah: 1884 bis 1890
    Hawley musste nicht lange von Price angelernt werden. Schon nach einer Woche durfte er seine

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