Der freundliche Mr Crippen | Roman
der Meinung, sie sollte ihr Verhalten in vornehmer Gesellschaft überdenken.«
»Entschuldige, meine Liebe, das war gefühllos von mir.«
Sie schüttelte den Kopf und winkte ab. »Es ist nun so«, fuhr sie fort, »dass Margaret erwähnte, sie habe Dr. Crippen vor ein paar Wochen im Theater gesehen. Andrew hatte einen Geschäftspartner eingeladen, der zu Besuch in London war und offenbar das Theater liebt, und so gingen sie in eine Aufführung des
Sommernachtstraums
im West End. In der Pause tranken sie etwas an der Bar im Foyer, und da sah Margaret Dr. Crippen ganz in der Nähe stehen. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit wir gehört hatten, dass Cora nach Amerika gefahren und dort gestorben sei. Natürlich ging sie zu ihm, um ihm ihr Beileid auszusprechen.«
»Natürlich«, sagte Nicholas.
»Sie war überrascht, ihn dort zu treffen. Die arme Frau war schließlich erst ein paar Wochen tot, und es schien etwas herzlos von ihm, die Trauerzeit so schnell zu beenden.«
Nicholas zuckte mit den Schultern. »Wir alle gehen mit unserer Trauer unterschiedlich um, meine Liebe«, sagte er leise.
»Sicher, und es ist letztlich auch egal, aber man muss sich für so ein Verhalten doch etwas schämen. Margaret ging jedenfalls zu ihm, und Dr. Crippen benahm sich ziemlich ungehörig. Er hatte nur wenige Worte für sie übrig und ließ sie dann stehen.«
»Nun, vielleicht war er noch etwas aus dem Gleichgewicht. Vielleicht wollte er nicht darüber reden.«
»Aber er hatte eine junge Frau bei sich, Nicholas. Ein hübsches junges Ding, wenn auch recht gewöhnlich. Wir haben sie einmal abends bei den Crippens gesehen, sie hatte eine Narbe, von der Nase bis zur Lippe. Erinnerst du dich?«
»Vage«, sagte Nicholas, der sich absolut nicht an sie erinnern konnte.
»Das erste Mal, als wir bei ihnen waren. Vor jetzt mehr als einem Jahr. Als der junge Mann, der bei ihnen wohnte, so unterhaltsam war«, sagte sie. Den jungen Mann, Alec Heath hieß er, hatte sie wirklich gemocht.
»Ich bin sicher, ich war dabei, Louise«, antwortete er. »Aber ich kann mich doch nicht an jede Gesellschaft erinnern, auf der wir waren, oder?«
»Ob du dich erinnerst oder nicht, auf die Frau selbst kommt es nicht weiter an«, sagte sie gereizt. »Aber sie trug ein blaues Saphirhalsband, das Mrs Nash öfter an Cora gesehen hat, und dazu Coras Lieblingsohrringe, wie Mrs Nash sagt. Findest du das nicht erstaunlich?«
Nicholas kratzte sich am Kinn und dachte nach. Er verstand nicht recht, was sie meinte.
»Eine Frau reist nicht ohne ihren besten Schmuck nach Amerika«, sagte Louise schließlich, um ihm auf die Sprünge zu helfen, und wartete darauf, dass er ihren Gedankengang aufgriff. »So etwas tut man einfach nicht, und ganz bestimmt würde sie nicht erlauben, dass ein dahergelaufenes Flittchen während ihrer Abwesenheit ihren Lieblingsschmuck trägt.«
»Meine Liebe, du bist etwas leicht erregbar. Die Gute kommt nicht wieder. Sie ist tot.«
»Das wusste sie aber nicht, als sie wegfuhr, oder?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich mache mir Sorgen, Nicholas, das ist alles. Ich weiß, es klingt lächerlich, doch ich habe die Vermutung, dass Cora Crippen etwas zugestoßen ist, und ich bin entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Margaret geht es genauso.«
»Also wirklich, Louise«, sagte er mit einem Lachen und war ziemlich amüsiert über den plötzlichen Anfall von Neugier, der seine Frau ereilt zu haben schien. »Willst du etwa das Haus des armen Mannes durchsuchen und ihm auf die Nerven gehen?«
»Ganz sicher nicht«, sagte sie. »Mir von dem Flittchen die Tür öffnen zu lassen, und sie lässt mich womöglich gar nicht hinein? Im Leben nicht! Ich habe vor, das Einzige zu tun, was eine ehrbare Frau in solch einer Lage tun kann.«
»Und das wäre?«
»Ich werde zu Scotland Yard gehen und ihnen erklären, dass Cora Crippens Tod die Folge einer Untat war.«
Nicholas blieb der Mund offen stehen, und er konnte nicht anders, er musste laut lachen. »Meine Liebe, du bist wirklich überwältigend«, sagte er schließlich und schüttelte staunend den Kopf. »Tut eine ehrbare Frau das in solch einer Lage
tatsächlich?
Zu Scotland Yard gehen? Was für ein erstaunlicher Gedanke!« Er bebte förmlich vor Liebe und Lachen. Sein Vater mochte über Louise denken, was er wollte, mit ihrer Unvorhersehbarkeit machte sie das Leben ihres Mannes zu einer einzigen Freude. »Ich glaube, du hast wieder mal zu viele Kriminalgeschichten gelesen.«
»Das
Weitere Kostenlose Bücher