Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
bewusst, dass Tom dabei Victorias Blicke auf ihn, Edmund, aufgefallen waren. Das alles amüsierte ihn ein wenig, und er vermutete, dass Tom genauso wenig Chancen hatte, das Objekt seiner Sehnsüchte zu erobern, wie Victoria mit ihren Annäherungsversuchen bei Edmund Erfolg haben würde. Obwohl Tom ein gut aussehender Junge war und ihn seine grobe, weltläufige Art für manches Mädchen sicher noch attraktiver machte, war er doch fast noch ein Kind und ganz sicher niemand, der für Victoria interessant sein konnte.
    »Ich habe übrigens auf dich gewartet«, sagte Tom nach ein paar Minuten Schweigen und bestätigte damit Edmunds Verdacht.
    »Auf mich gewartet?«, fragte er und sah sein kauendes Gegenüber überrascht an. »Wirklich?«
    »Ja, ich wollte mit dir reden.«
    »Okay.«
    »Über Victoria Drake.«
    »Ah«, sagte Edmund und nickte.
    »Ich will dich warnen, Robinson«, sagte der Junge mit leiser Stimme.
    »Vor was?«
    »Vor dem, was passieren wird, wenn du deine dreckigen Pfoten nicht von ihr lässt. Ich sage dir das jetzt und kein zweites Mal.«
    Edmund lächelte und stellte seine Tasse ab. Offenheit war eine Sache, Leidenschaft eine andere. Aber Drohungen gingen weit über beides hinaus, und er wollte verdammt sein, wenn er sie so einfach hinnahm, selbst wenn sie völlig unbegründet waren.
    »Jetzt warte mal einen Augenblick …«, begann er, bevor er gleich wieder unterbrochen wurde.
    »Hör mir einfach zu, Robinson«, zischte Tom. »Ich weiß nicht genau, was du vorhast, aber es gefällt mir nicht. Ich mag es nicht, dass du ihr ständig hinterherläufst und sie rumzukriegen versuchst.«
    »Dass
ich …

    »Ich habe die Kleine zuerst gesehen, und wenn es nur irgendeine Möglichkeit gibt, krieg ich sie auch. Du magst ja ein paar Jahre älter sein als ich, ein Mann bist du deswegen noch längst nicht. Also hör auf, ihr hinterherzulaufen, wenn du weißt, was gut für dich ist.«
    »Ich laufe ihr hinterher?«, sagte Edmund und lachte. »Was für ein Witz.
Sie
ist es, die
mich
nicht in Ruhe lassen will, du Idiot. Seit dem ersten Tag hier klebt sie an mir.«
    »Red keinen Unsinn. So ein Mädchen? Die ist niemals hinter einem Klappergerüst her, wie du eins bist. Du hast aber auch nichts von einem Mann, wenn du mich fragst.«
    Das ist wahrer, als du denkst, dachte Edmund.
    »Bleistiftarme, diese Piepsstimme, du musst dich ja noch nicht mal rasieren, oder? Und nenn mich nicht einen Idioten, sonst schaffe ich dich raus und werf dich über Bord. Da kannst du dich dann mit den Haien unterhalten.«
    »Hör zu, Tom«, sagte Edmund, legte Messer und Gabel zur Seite und hasste es, dieses Gespräch überhaupt weiterführen zu müssen. »Es hat keinen Sinn, mit
mir
darüber zu sprechen. Wenn du an Victoria interessiert bist, würde ich vorschlagen …«
    »Behalte deine Vorschläge für dich«, sagte der Junge, griff nach seinem Buttermesser und beugte sich vor. Die Messerspitze war nur eine Handbreit von Edmunds Brust entfernt, und er sah es nervös an. »Du weißt nichts über mich«, sagte Tom. »Du weißt nicht, wozu ich fähig bin. Wo ich groß geworden bin, musste ich kämpfen, um zu überleben. Du musst nicht glauben, bloß weil mein Onkel wie der König von England herumstolziert, bin ich der Dauphin. Ich weiß, wie ich kriege, was ich will, und ich sage dir, du kleiner Scheißer, Victoria gehört mir, und wenn du mir in die Quere kommst, zerquetsche ich dich, verstanden? Niemand schnappt einem DuMarqué etwas weg. Ich stamme von Kämpfern ab. Mein Vater ist im Burenkrieg gefallen. Über Jahrhunderte haben meine Vorfahren gekämpft und getötet. Einer war ein Straßenräuber, und ein anderer hat für Robespierre und die Revolution gearbeitet, deshalb weiß ich, wie man die Privilegierten einen Kopf kürzer macht. In meiner Familie gibt es keine Feiglinge.«
    Edmund starrte ihn entsetzt an. Der Junge mochte ja erst vierzehn sein, aber da war eine Wildheit in seinen dunklen Augen, die Edmund jedes einzelne seiner Worte glauben ließ. Das Messer deutete immer noch in seine Richtung, völlig unbeweglich, Tom zeigte keine Spur von Nervosität. Für zwei Pennys, dachte Edmund, ersticht mich dieser Irre hier auf der Stelle. Langsam drehte Tom jetzt das Messer, so, dass es in seine eigene Richtung zeigte, und Edmund verfolgte, wie der Junge die Klinge über seine Handfläche zog und eine feine Blutspur darin hinterließ, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Ich habe keinen Appetit mehr«, sagte Edmund, schob den Teller

Weitere Kostenlose Bücher