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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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nach Europa oder England zurückkehren. Ich hasse England, die Leute dort. Es war … eine einzige Qual.«
    Martha zog die Stirn kraus. Sein Ton war bitter, und seine drastischen Worte verwirrten sie. »Wissen Sie, was heute für ein Tag gewesen wäre?«, fragte sie in der Hoffnung, das Thema zu wechseln.
    »Gewesen
wäre?
«, fragte er.
    »Ja«, sagte sie mit einem Seufzen. »Mein Hochzeitstag.«
    Mr Robinson sagte nichts. Er war sich bewusst, dass sich Martha Hayes bisher eher verschlossen gezeigt hatte, und wollte ihr keine persönlichen Fragen stellen, ehe sie sich nicht von selbst öffnete.
    »Ich habe Ihnen doch von meinem Freund erzählt, Monsieur Brillt?«, fragte sie. Er nickte und erinnerte sich an ein paar Bemerkungen. »Wir haben uns vor achtzehn Monaten kennengelernt. Er war Lehrer, in Antwerpen. Ein sehr intelligenter Mann. Sein Verständnis von Geschichte und Literatur hat mich beeindruckt. Was er mir alles erzählte, die Bücher, die er mir nahebrachte! Mr Robinson, ich glaube, dieser Mann hat jedes Wort gelesen, das je geschrieben wurde, von den römischen Historikern bis zu den mittelalterlichen Dichtern, von den Dramatikern der Renaissance bis zu den modernen Romanciers, und die europäischen Romane in den Originalsprachen. Er spricht sechs verschiedene Sprachen, wissen Sie. Ein brillanter Kopf, und ich gebe gerne zu, dass er mein Denken in vielerlei Hinsicht erweitert hat. Oh, und er war der bestaussehende Mann überhaupt … Aber da war noch etwas, etwas Magisches, etwas so Intelligentes, dass man nur staunen konnte.«
    »Die Menschen tun gerne so, als liebten sie einander«, sagte Mr Robinson, »aber es stimmt nicht. Wir alle benutzen einander nur für unsere eigenen Zwecke. Meinen Sie nicht auch?«
    »Nein, das meine ich nicht«, sagte sie. »Was für eine zynische Einstellung! Ich habe Monsieur Brillt geliebt, als hätte es bis dahin keine Liebe auf dieser Welt gegeben, und er sagte, er liebe mich auch. Wir haben so viel Zeit gemeinsam verbracht, sind ins Theater gegangen, in Music Halls.« Er zuckte zusammen, als er das verhasste Wort hörte. »Manchmal ist er mit mir Bootfahren gegangen, und wir haben mitten auf den Seen gepicknickt. Er kannte die besten Läden und machte Sandwiches mit exotischem Käse und kaltem Fleisch. Ich wusste nicht, dass Essen so schmecken kann. Es waren wundervolle Nachmittage«, sagte sie und versank in einem Schleier der Erinnerung. »Er fragte mich, ob ich ihn heiraten wollte, wissen Sie. Vor sechs Monaten sind wir essen gegangen, und er kniete vor mir nieder, holte einen Diamantring hervor und sagte, dass ich, Martha Hayes, ihn zum glücklichsten Mann auf Erden machen würde, wenn ich zustimmte, Madame Léon Brillt zu werden.«
    »Und Sie haben Ja gesagt?«
    »Das habe ich. Ich war außer mir. Ich konnte nicht glauben, dass ein so kultivierter, intelligenter Mann wie er Interesse an einer Frau wie mir hatte. Natürlich hatte ich gehofft, dass er mir eines Tages einen Antrag machen würde, und mich schon in das Leben hineingeträumt, das wir führen würden, wenn wir erst verheiratet wären, dennoch war es ein Schock, als er mich tatsächlich fragte. Wir setzten einen Termin fest, den heutigen Tag, und reservierten eine Kirche. Ich fing an, unsere gemeinsame Zukunft zu planen, und dann geschah es.«
    Mr Robinson starrte sie an. Er sah, wie sich ihr Kiefer verspannte, um sich für den nachfolgenden schwierigen Teil der Geschichte zu wappnen.
    »Erzählen Sie«, drängte er sie. »Oder später, wenn es Ihnen lieber ist. Wenn es zu schmerzlich ist.«
    Aber bevor sie fortfahren konnte, trat Tom DuMarqué aus dem Speisesaal und kam verlegen auf sie zu. Er starrte sie an, während er sich ihnen näherte, wie ein bösartiges Tier, das seine Beute beschnüffelte, bevor es sich entschied, ob es angreifen sollte oder nicht. Am Ende ging er an ihnen vorbei, zog ein Bein komisch nach und hatte nur ein Nicken für sie übrig. Martha erschauderte ungewollt.
    »Mit dem Jungen ist etwas«, begann sie, führte den Gedanken aber nicht weiter. »Hat er nicht gehumpelt?«
    »Er hat etwas Merkwürdiges an sich«, stimmte ihr Mr Robinson zu. »Als wäre er sehr wütend, wüsste aber nicht so recht, weshalb. Er ist so ganz anders als sein Onkel, der sich über nichts in dieser Welt zu sorgen scheint, und ja, er hat ein Bein etwas nachgezogen. Aber bitte, Miss Hayes, Martha, erzählen Sie mir, was aus Ihrer Verlobung geworden ist. Ich hoffe doch, es war nichts Tragisches? Meine

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