Der Frevel des Clodius
patrizischen Familien und gab sich gleichzeitig als ein Mann des Volkes. Er war ein alter Marianer in einem Rom, das zwanzig Jahre lang von den Anhängern Sullas kontrolliert wurde. Auch wir Meteller hatten den Diktator unterstützt, genau wie die Claudier, die Cornelier und die meisten bedeutenden Familien wie etwa die Crassi. Sogar einige Julier waren auf seiner Seite gewesen, aber Gaius Julius hatte stets die familiäre Verbindung mit seinem Schwiegervater Gaius Marius betont, selbst in den Jahren, als dessen Stern ganz verblaßt war. Konnte es sein, daß doch mehr in Caesar steckte, als ich vermutete? Er unterstützte sogar die Grünen im Circus.
An jenem Tag schienen die Schutzgottheiten der Stadt nicht geneigt, meine Schritte in eine sinnvolle Richtung zu lenken. Ich drehte zwei Runden um den Circus Maximus, ein nicht zu unterschätzendes Unterfangen, bevor ich einmal den Palatin umwanderte und dann meinen Aufstieg zum Forum begann, das sich gerade in Windeseile von den Menschen leerte, die es am Tag bevölkerten. Ich bestieg den Capitol und lenkte meine Schritte zum Tempel des Jupiters auf seiner Spitze. Ich ging hinein und beobachtete die Priester bei ihrem spärlich besuchten Abendritual. Die neue Jupiter-Statue wirkte immer noch ein wenig fehl am Platz, obwohl sie von beeindruckender Majestät war. Die Haruspices hatten verkündet, daß ein neues Standbild des Gottes vonnöten sei, um den Staat zu schützen und Verschwörungen gegen die Verfassung aufzudecken. Sie mußten recht gehabt haben, denn kaum hatte man die Statue aufgestellt, war die Verschwörung des Catilina aufgedeckt worden.
Ich habe die Götzendienste in unseren Tempeln immer als sehr entspannend und der Meditation förderlich empfunden, solange kein großes, sich wehrendes Wesen geopfert wurde. Der Jupitertempel war einer der ältesten Tempel überhaupt, an Alter höchstens vom Tempel der Vesta überboten. Er war etliche Male wieder aufgebaut worden und einst ein Heiligtum ohne Bilder gewesen, da die Praxis, unseren Göttern die Gestalt von menschlichen Wesen zu geben, noch relativ jung war. Als wir die Griechen versklavten, fingen sie an, unsere Stadt nach ihren Vorstellungen zu reorganisieren. Ich habe nie verstanden, wie es kommt, daß die Sklaven nach und nach die Kontrolle über unser ganzes Leben übernehmen, aber es scheint mir eine Art Naturgesetz zu sein.
Mit Weihrauchduft im Haar verließ ich den Tempel und machte mich auf den Weg zu Milos Haus. Dies war keine Tageszeit, zu der man einen Bürger anständigerweise besuchen konnte, aber Milo war kein gewöhnlicher Bürger. Er schien nie zu schlafen, und er hatte es zu seinem kriminellen/politischen Prinzip gemacht, rund um die Uhr für die Bürger der Stadt dazusein. Wenn es darum ging, den Bürgern das Gefühl persönlicher Hinwendung und Aufmerksamkeit zu geben, war Caesar verglichen mit Milo ein blutiger Amateur. Andererseits war Milo auch nicht von Armeen und Provinzen und rivalisierenden Generälen abgelenkt, die die Welt erobern wollten. Milo wollte nicht die Welt erobern. Milo wollte nur die Stadt Rom unter seine Kontrolle bringen. Zu diesem Behufe hat er sich eine gewaltige Klientel gesammelt, die keineswegs ausschließlich aus verbrecherischen Kreisen stammte. Seine Schlägertruppen blieben logischerweise der harte Kern seiner Machtbasis, aber er hatte seine Beziehungen bis in die höchsten Kreise der römischen Gesellschaft ausgedehnt, wie seine Einladung zum Lunch mit Lucullus bewies.
Milo hatte diesen erstaunlichen Aufstieg vom kleinen Gauner zum Politiker durch unermüdliche Energie, ungeheuren Charme und eine Brutalität erreicht, die selbst in einem Zeitalter von Männern ohne Gewissensbisse atemberaubend war. In seinen Zielen unterschied er sich vermutlich nicht groß von Clodius, aber sie waren ganz unterschiedliche Menschen. Clodius startete mit Reichtum, hoher Geburt und sozialem Prestige ins Leben.
Für ihn war es ein Geburtsrecht, sich freimütig in den allerhöchsten Kreisen zu bewegen. Milo hatte zunächst gar nichts, Milo hatte, ich will nicht sagen Ehrbewußtsein, aber er wußte um die Bedeutung von Loyalität und Verpflichtung. Milo hatte Freunde, während Clodius nur Lakaien um sich scharte.
Ich mag voreingenommen gewesen sein, weil ich Clodius so inbrünstig haßte, aber Clodius war auch ein verabscheuungswürdiger Mensch. Ich glaube nicht, daß ich in diesen Dingen je unausgewogen oder willkürlich geurteilt habe.
Milo begrüßte mich herzlich. Ich
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