Der Friedhofswächter
will und wann ich Lust dazu habe. Und das hast du nicht gewußt. Nichtwissen kann manchmal tödlich sein. Das wirst auch du einsehen müssen.«
Der Mann hatte so hart gesprochen, daß es dem Einbrecher kalt über den Rücken lief. »Wollen Sie mich erschießen?« fragte er leise.
»Sicher!«
»Das wäre Mord.«
»Ach, Junge, du bist doch ein Nichts, ein Idiot. Ich werde deine Leiche für immer verschwinden lassen. Nicht umsonst haben wir hier die weiten Moore in der Nähe. Darin verschwindet dein Körper für alle Zeiten.«
»Wie wäre es denn, wenn ich einfach abhaue und Sie die ganze Sache vergessen?«
»Das würde mir überhaupt nicht gefallen. Ich gehöre nämlich zu den Leuten, die sich nicht über den Löffel barbieren lassen. Ich ergreife stets Maßnahmen, auch bei dir. Und den Begriff kleiner Einbrecher lasse ich nicht mehr gelten. Ich habe zu lange für die Dinge schuften müssen, als daß ich sie mir von irgendeinem Idioten wegnehmen lasse. Alles klar?«
»Sicher.«
»Dann werde ich abdrücken!«
Der Schuß fiel. Hell und peitschend. Tidy zuckte zusammen, aber nicht durch den Einschlag der Kugel, sondern vor Schreck. Er war nicht erwischt worden.
Halb gebückt blieb er stehen, wartete auf den brennenden Schmerz, aber der kam nicht. Stattdessen hörte er das leise Lachen seines Freundes Ed, der sich amüsierte, weil sich Tidy nicht rührte.
»Was ist denn los? Hast du dir in die Hose gemacht?«
Jetzt erst drehte Tidy sich um. Er sah den Hausbesitzer, einen kräftigen Mann mit wucherndem grauen Vollbart. Er lag noch nicht am Boden, sondern ging zwei taumelnde Schritte und stützte sich an einer Sessellehne ab. Das Jagdgewehr hielt er tatsächlich in der rechten Hand. Nur wies die Mündung zu Boden, so konnte die Waffe, wenn er schoß, keinen Schaden mehr anrichten.
Erst als er sich schwerfällig drehte, entdeckte Tidy die Wunde in seinem Rücken. Dort hatte ihn Ed erwischt.
Schwer fiel der Mann auf den Teppich. Bäuchlings blieb er dort liegen und rührte sich nicht mehr.
»In der Jägersprache nennt man das einen Blattschuß!« erklärte Ed gefühllos und grinste über sein falkenäugiges Gesicht. »Er hätte dich sonst gekillt, Tidy.«
Der Einbrecher nickte. Sein langes dunkles Haar hing schweißnaß in seine ebenfalls feuchte Stirn. Er hatte den Eindruck, unter Dampf zu stehen, so sehr schwitzte er.
»Ist was?« fragte Ed.
»Nein, ich lebe noch.«
»Das hast du mir zu verdanken.«
»Ich weiß, Ed, ich weiß.« Tidy spürte den Schauer. »Aber was machen wir mit dem Kerl?«
»Hier liegenlassen.«
»Nein!« Tidy antwortete spontan. »Das können wir nicht, Ed. Das ist einfach nicht drin.«
»Wieso nicht?«
»Ich will es nicht. Irgendwann erscheinen Leute, finden ihn, alarmieren die Bullen, und die fangen an zu schnüffeln. Das ist alles nicht mein Fall, Ed!«
»Was dann?«
»Wir schaffen ihn weg.«
»Klar. Wohin denn?«
Tidy überlegte lautstark. »Mich hatte er ins Moor werfen wollen. Wir könnten das auch machen, aber ich habe eine bessere Idee. Wir schaffen ihn auf den in der Nähe liegenden Friedhof. Du weißt, welchen ich meine. Dieses alte Ding mit dem Gitter darum.«
Ed schob eine Haarsträhne zurück. »Das ist ein Hammer«, sagte er.
»Sogar ein verdammter.«
»Wieso? Was stört dich?«
»Eigentlich nichts.«
»Dann kannst du ja zustimmen.«
Ed war jetzt ehrlich. »Ich mag aber keine Friedhöfe. Und nicht nur das. Ich hasse sie sogar, denn sie sind mir unheimlich. Begreifst du das, Tidy?«
»Nein.« Der Einbrecher lachte schallend. »Du bist ein Killer und hast Angst vor einem Friedhof?«
»Jeder hat eine schwache Stelle.«
»Hör auf. Ich habe mir den Totenacker heute noch angesehen und ein frisch ausgehobenes Grab entdeckt. Da paßt der Tote genau rein, glaube es mir, Ed.«
»Ich streite das auch nicht ab, aber habe Hemmungen, den Friedhof zu betreten.«
»Einmal nur.« Tidy schaute seinen Kumpan fast bittend an. »Danach verschwinden wir aus dieser Gegend und kehren auch nicht mehr hierher zurück, das verspreche ich dir.«
Ed überlegte. »Nun gut, ausnahmsweise stimme ich dir zu.«
»Danke.«
Ed winkte ab. Er hatte sich bereits gebückt und den Toten unter den Achselhöhlen gepackt. »Verdammt, ist der schwer. Den wegzuschaffen, ist ja richtige Arbeit.«
»Ja, und die schändet nicht.« Tidy ging zum Schalter und knipste das Licht aus. Zu zweit klappte es besser. Mit der Leiche gingen sie durch die große Diele, öffneten die Haustür und bekamen die
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