Der Friseur und die Kanzlerin
ruf dich dann morgen an. Hast du alles verstanden?»
«Jawohl. Und Sie, was tun Sie inzwischen?»
«Wache stehen, bis ich umfalle.»
«Ich kann Sie ablösen kommen – oder Ihnen Gesellschaft leisten.»
«Nein, bleib zu Hause, und mach deine Hausaufgaben.»
«Ich habe keine Hausaufgaben, es ist Sommer, wir haben Ferien.»
«Dann gehst du eben alles noch mal durch.»
Ich hängte auf, ging zurück und blieb in angemessenem Abstand zu Romulus’ Haus stehen. Aus einem Abfalleimer angelte ich mir eine Zeitung, um das Gesicht zu verdecken, dann lehnte ich mich an die Hauswand und spielte eine Weile den Lesenden. Gegen zwanzig nach acht verließ die Frau mit dem Besen das Haus, bog um die nächste Ecke und verschwand. Ich hielt es nicht für unerlässlich, ihr zu folgen. Ich wartete noch eine weitere halbe Stunde im Wissen, dass bis zum nächsten Tag nichts Interessantes mehr geschehen würde. Schließlich suchte ich eine Bushaltestelle, nahm einen Bus, der in meine Richtung fuhr, und ließ mich, die Wonnen der Klimaanlage genießend, davontragen, während ich über den nächsten Schritt auf der ungewissen Reise nachdachte, die ich soeben wider alle Vernunft angetreten hatte.
Am nächsten Tag stand ich zeitig auf, verließ die Wohnung, wartete auf den Bus, der endlich auch zu kommen geruhte, stieg ein, und als ich an meinem Ziel anlangte, war es noch so früh, dass der Hahn gekräht hätte, wenn es außerhalb des Supermarkts einen gegeben hätte. Zu dieser Stunde waren die Ramblas menschenleer und ihre Lokale und Läden geschlossen, nur die städtischen Angestellten waren zu sehen, die diesem weltberühmten Boulevard nach der betriebsamen Barceloneser Nacht seine übliche Gestalt zurückgaben; die einen entfernten fein säuberlich die organischen Abfälle und ihre Verpackungen, andere rücksichtslos die Betrunkenen und dritte mit dem gebührenden Respekt die Dahingeschiedenen. Um ihnen nicht ins Gehege zu kommen, benutzte ich den Bürgersteig und ging dicht an der Hauswand entlang. Ich bog in die ebenfalls verlassene Calle Portaferrisa ein und nach wenigen Metern in ein düsteres Portal, wo ich auf den Gesuchten traf, der soeben seine Alltagskleider ausgezogen hatte und nun in eine Prachtgewandung schlüpfte. Ich begrüßte ihn, und er erkannte mich auf der Stelle und freute sich über meinen Anblick, denn obwohl uns nie eine enge Freundschaft verbunden hatte, neigte er zur Nostalgie und nahm mit einer Mischung aus Gefallen und Traurigkeit alles entgegen, was ihn an bessere Zeiten erinnerte. Jahrzehntelang hatte er sich seinen Lebensunterhalt bequem mit einem vielfältigen Sortiment an Gaunertricks verdient, die er so meisterlich und elegant darbot, dass er seinen Spitznamen zurecht trug: der Dandy Morgan. In einem bestimmten Alter, als er schon einen ruhigen Ruhestand vorbereitete und Pläne für die Eröffnung einer Trickbetrügerakademie schmiedete, änderte sich alles schnell und unerwartet. Zunächst stellte ihn der Zustrom ausländischer Touristen bei einer Kunst, die ausschließlich auf der Geschwätzigkeit basiert, vor unlösbare Sprachprobleme.
«Aber nicht das war das Schlimmste», jammerte der Dandy Morgan, «sondern die neue Mentalität. Wegen der Hütchenspieler und Taschendiebe haben sich die Leute daran gewöhnt, schnell und mühelos Geld zu verlieren. Früher musste man, um übers Ohr gehauen zu werden, scharfsinnig, habgierig, entschlossen und unmoralisch sein. Heute lässt sich sogar der Stumpfsinnigste ausnehmen ohne die geringste Vorstellung, was er da macht. Du schlägst einem dieser jungen Menschen Bauernfängerei oder den Trick mit dem großen Los oder den Blütendrucker vor, und er schaut dich an, als kämst du vom Mond.»
Einnahmenrückgang und Mutlosigkeit hatten ihn dazu gebracht, den Beruf aufzugeben und eine lebende Statue zu werden. Anfänglich lief das Geschäft ziemlich gut. Dann tauchten immer mehr Konkurrenten auf und damit Probleme. Auch auf diesem Gebiet machte sich die Dekadenz bemerkbar.
«Als ich anfing», sagte er, «gab es eine Kultur der Ikonographie: Jedermann erkannte die Figuren. Heute dagegen wissen die Leute nicht mehr, wer jemand ist. Sogar Elvis und der Che müssen sich auf einer mehrsprachigen Tafel ausweisen.»
«Und du, was stellst du dar?»
«Doña Leonor von Portugal, sieht man das nicht?»
Er hatte sich den Lippenstift aufgetragen und den Schnurrbart mit Bronzepulver verdeckt. Ich half ihm, mit Haarnadeln und Büroklammern die Krone an den Locken zu
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