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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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antwortete er postwendend. «Sie ist immer in Bewegung und wird nicht wahrgenommen. Während der Saison arbeitet sie bei den Imbissbuden der Barceloneta und verdient sich eine goldene Nase. Aber wenn du ihr sagst, dass ich dich schicke und dass es sich nur um vierundzwanzig Stunden handelt, willigt sie vielleicht ein. Probieren geht über Studieren. Und vergiss meine beiden Euro nicht und den Zuschlag für die wertvolle Information.»
    Ich verabschiedete mich von ihm und sprang in den Bus Richtung Barceloneta. Einer der wenigen Vorteile des Sommers in der Stadt ist, dass der Verkehr ungewöhnlich flüssig läuft. Wenn man nicht lange auf den Bus warten muss, kann man Barcelona von einem Ende zum anderen durchqueren, ohne dass einem am Ziel der Bart bis zur Hüfte gewachsen ist. Die U-Bahn ist das ganze Jahr über schnell, aber ich bewege mich lieber an der Oberfläche, in einem Transportmittel, von dem ich notfalls in voller Fahrt abspringen kann. Außerdem fahre ich im Bus gratis dank der Seniorenkarte, die mir vor weiß Gott wie vielen Jahren ein Nordafrikaner für fünfzehn Euro verkauft hat. Wenn der Kontrolleur vorbeikommt, simuliere ich Auswürfe, damit er nicht stehen bleibt, um das Dokument genau zu studieren, das meinen vorgeblichen Greisenstatus akkreditiert.
    Die Moski, deren wirklicher Name lang und unaussprechlich war, hatte sich Ende des vorigen Jahrhunderts in der Barceloneta niedergelassen. Sie stammte aus einem osteuropäischen Land und war, kaum dem Kindesalter entwachsen, der Stalinjugend beigetreten, und weder ihre eigenen Erfahrungen noch die historische Entwicklung waren für sie Grund genug, den eingetrichterten Ideen zu entsagen. Da ihr Charakter ebenso unerschütterlich war wie ihre Treue, packte sie beim Zusammenbruch des Systems ihre wenigen bescheidenen Habseligkeiten in einen Holzkoffer und ging aus eigener Initiative ins Exil. Irgendwann hatte sie gehört, die kommunistische Partei Kataloniens sei die einzige, die inmitten der Katastrophe eine unversöhnliche Orthodoxie, eine unverbrüchliche Hierarchie und eine unerbittliche Disziplin aufrechterhalte. Kaum war sie aus dem Zug gestiegen, machte die Moski beim Sitz der ehemaligen PSUC ihre Aufwartung und zeigte dem Mann, der sie empfing, den Mitgliederausweis und ein Foto von Georgi Malenkow mit Widmung und sagte, sie komme, um sich dem Generalsekretär zu unterstellen. Der Mann, der sie empfangen hatte, bot ihr zum Beweis, dass er sie als Genossin akzeptierte, einen Zug aus seinem Joint an und teilte ihr mit, der Generalsekretär, den er mit dem respektvollen Spitznamen der Bratwurstler bezeichnete, könne sie nicht empfangen, da er im Garten der Franziskanerterziarinnen der Göttlichen Hirtin Lilien setze; anschließend sei er mit dem restlichen Zentralkomitee vor der Kathedrale zum Sardana-Tanzen verabredet, und nachmittags gehe er zum Fußball. Die Moski konnte nicht umhin zu bewundern, mit welcher List die Partei die Vorbereitungen für die Revolution verschleierte, und beschloss, in Barcelona zu bleiben. Sie kaufte ein gebrauchtes Akkordeon auf Raten und begann, vor den Restaurant-, Kneipen- und Imbissbudenterrassen zu spielen und zu singen. Sie sang aus voller Kehle, damit man nicht merkte, dass sie nicht Akkordeon spielen konnte, und das Schrillen des Akkordeons übertönte ihre Kickser und ihre Krähenstimme. Die Ausländer hielten diese grelle Kakophonie für katalanische Musik aus den Zeiten des Grafen Arnau und die Einheimischen für Folklore des Balkans, und keiner bemerkte, dass die Moski Erzähl mir nichts mehr , Mit dir in der Ferne und andere gefühlige Boleros einer Luis-Miguel-Platte sang, die sie an einer Tankstelle gekauft hatte.
    Über all das vom Dandy Morgan informiert, sprach ich sie an, obwohl ich sie weder kannte noch große Hoffnungen hatte, ihre Mitarbeit zu gewinnen, doch als sie den Namen Dandy Morgan hörte, hellte sich ihr Gesicht auf, sie ließ Lobeshymnen über ihn vom Stapel und sagte, sie sei ihm sehr dankbar dafür, dass er ihr in schwierigen Momenten geholfen habe. Da sie von ihm als vom «Genossen Bielski» sprach, nahm ich an, sie verwechsle ihn mit jemand anderem, unternahm aber nichts, um sie aufzuklären. Diskussions- und vorbehaltlos erklärte sie sich bereit, zwei Tage lang unter meiner Leitung zu arbeiten, wobei sie dasselbe verdienen würde wie die beiden anderen (der Juli und der angebliche Genosse Bielski), aber nur mit Akkordeonspielen, also ohne Gesang, denn mittlerweile drohte sie die

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