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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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habe ich in einem seiner Jacketts eine Rechnung gefunden. Ich schnüffle nie in seinen Kleidern oder Papieren rum. Aber es war ein Winterjackett, und ich habe die Taschen geleert, um sie vor dem Verwahren mit Naphthalin zu füllen. Es ist mir aufgefallen, dass er am 4. Februar mit jemandem in einem Lokal war, der Sardellen in Essig und eine Pepsi konsumierte. Wer sollte so was tun?»
    «Jeder Gourmet.»
    Ihre Beharrlichkeit bestätigte meinen Verdacht. Die Geschichte mit dem außerehelichen Abenteuer war eine Ente. Romulus der Schöne war schon seit einer Weile verschwunden, und sie wollte wissen, wo er steckte. Im Laufe unserer Unterhaltung hatte mir Romulus der Schöne vorgeschlagen, bei einem Coup mitzuwirken, aber Lavinias Schilderung konnte man entnehmen, dass er ihr nichts von seinem Plan erzählt hatte, nicht einmal von der Zufallsbegegnung, die ihn begünstigt hatte. Und wenn er beschlossen hatte, das Geheimnis für sich zu behalten, würde sicher nicht ich es jetzt preisgeben.
    «Oh», sagte ich leichthin, «wir haben über viele Dinge gesprochen. Wir haben uns ganz allgemein an die alten Zeiten erinnert. Weibergeschichten, nicht der Rede wert, wie es sich für zwei reife, gebildete Edelleute geziemt.»
    «Ich seh schon, deine Lippen sind versiegelt. Aber vielleicht könnten andere Lippen, feuchte und weiche, sie entsiegeln», säuselte sie.
    Sie trat so dicht an mich heran, dass ein Passant, hätte er in diesem Moment zur Tür hereingespäht, hätte glauben können, im Halbdunkel des Raums keuche ein vierbeiniger Dickwanst. Ihre Arme umschlangen meine Hüften, ihre Duftmischung umfing mich außen und innen (in den Eingeweiden), und ich spürte ihre Lippen meinen Hals liebkosen. Wenn du diese Chance von dir weist, sagte ich mir, hast du vielleicht dein ganzes Leben lang keine weitere mehr. Während ich mir das überlegte, war ich im Geist schon unterlegen und wollte eben den Obliegenheiten des Unterliegenden nachkommen und ihre Dirnendienste mit Verrat bezahlen, als mich eine Stimme in die Wirklichkeit zurückholte:
    «Heute gibt es Algensalat und Chinakohl und pikante Langusten mit Nüssen.»
    Erschrocken ob der Erscheinung des gastfreundlichen Alten, fuhren wir auseinander. Sie raffte die Kleider zusammen, die sie ausgezogen hatte, und ich klopfte die meinen zurecht.
    «Unterbrechen Sie meinetwegen Berührungen nicht», fügte der Alte eilig hinzu. «Ich bin nur gekommen, um Menü zu besingen. Wenn ehrwürdige Señora kommen mag, ist sie natürlich ebenfalls in unser bescheidenes Heim an bescheidenen Tisch eingeladen. Angezogen bitte. Es sind Minderjährige da.»
    «Herzlichen Dank», sagte sie, «aber ich wollte gleich gehen. Ich habe eine Verabredung. Ich bin nur eben vorbeigekommen und habe einen alten Bekannten begrüßt. Dann habe ich gesehen, dass mir der Saum aufgegangen ist, und das Kleid ausgezogen, um ein paar Stiche zu machen.»
    Sie zog sich an, ergriff ihre Sommertasche aus bedrucktem Stoff und ging mit wiegenden Hüften davon. Ich eilte zum Ausgang und schaute ihr hinter der Türangel verborgen nach, aber sie bog um die Ecke, und ich konnte nicht sehen, ob sie zu Fuß weiterging, ein Taxi nahm oder in einen Peugeot 206 stieg. So ging ich wieder hinein.
    «Wenn ich nicht dazwischengekommen wäre, hätten Sie gebumst.»
    «Ja, Sie sind genau im richtigen Moment gekommen. Vermutlich muss ich Ihnen dankbar sein. Wenn ich ihren böswilligen Reizen erlegen wäre, hätte ich es hinterher bereut. Ihnen nicht erlegen zu sein bereue ich jetzt, aber es ist besser so. Vor zwei Tagen hat sie mich nicht gekannt, und heute ist sie nicht nur bereit, mich zu verführen, sondern weiß auch jede Menge über mich. Ich frage mich, woher sie das alles hat und wie sie mich aufgespürt hat. Nicht mit seiner Hilfe jedenfalls, er ist ja ebenfalls spurlos von zu Hause verschwunden.»
    «Wer war sie?», fragte Großvater Lin mit der für alte Leute typischen Indiskretion. «Auch Polizistin? Vielleicht Agentin von General Tat?»
    «Nein, das war eine Privatperson. Aber ihre Absicht war dieselbe: mich auszuhorchen. Keinesfalls hätte ich ihnen mit etwas dienen können, weder der einen noch der anderen, aber die Dichotomie erstaunt mich schon.»
    «In der östlichen Tradition», sagte Großvater Lin, «Geheimnisse immer zu dritt. Wenn Lösung kommt, stehen alle miteinander in Verbindung: erstes mit zweitem und drittem, zweites mit erstem und drittem, drittes mit erstem und zweitem. Verstehen Sie?»
    «Ja, aber ich habe es

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