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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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seinem Handy einige Fotos von uns.
    Auf der Straße verabschiedeten Quesito und ich uns; sie ging zur Bushaltestelle und ich Richtung Salon. Nach wenigen Schritten blieb ich stehen, wandte mich um, schaute ihr unbeobachtet nach und verspürte einen Stich Mitleid. Ohne väterliche Unterstützung würde sie ihre Projekte, ob akademischer oder anderer Natur, schwerlich verwirklichen können, dachte ich. Am Horizont ihres Lebens zeichneten sich wenig Erwartungen und viele Gefahren ab. Gar nicht zu reden von der momentanen Gefahr meiner Gesellschaft, wenn mir, wie es aussah, ein erbarmungsloser Terrorist in die Quere gekommen war. In den letzten Jahren war Romulus der Schöne so etwas wie ein Vater für sie gewesen oder doch wenigstens eine flüchtige männliche Präsenz im Familienumfeld. Jetzt hatte sie sogar das verloren, falls er für immer verschwunden war. Von allen Kandidaten war ich sicher der ungeeignetste, diese Lücke zu füllen, vielleicht aber auch der Einzige: Entweder gab ich ihr Romulus den Schönen heil zurück, wie sie es von mir erwartete, oder meine Aufgabe wäre es, in Quesitos Leben die Stelle meines Freundes einzunehmen, doch was hatte ich ihr in diesem Fall zu bieten? Ich konnte ihr höchstens meine geistlosen beruflichen Kenntnisse vermitteln und ihr die Möglichkeit geben, sie in einem Damensalon ohne Kundschaft anzuwenden. Aber würde sie den Ersatz annehmen? Kurz zuvor hatte sie ohne Stolz, aber auch ohne Widerwillen die irrtümliche Verwandtschaftszuordnung durch Señor Lin akzeptiert, und diese stillschweigende Billigung konnte als eine Respekts- und Zuneigungsbekundung für meine Person aufgefasst werden, auch wenn diese Gefühle nur auf die Geschichten zurückzuführen waren, die ihr Romulus der Schöne im Lauf der Jahre erzählt hatte, eher zum Zeitvertreib denn als wirklichkeitsgetreuen Bericht. In diesem Sinn würde unser täglicher Umgang es übernehmen, ihr in Kürze die Augen zu öffnen.
    In solch traurige Überlegungen versunken, ging ich müden Schrittes dahin, bis das östliche Essen in meinem aus der Übung gekommenen Organismus eine Darmreaktion auslöste, die mich zwang, das Grübeln auf später zu verschieben und wie ein Windhund zum Salon zu laufen.
    Gegen Abend projizierte die untergehende Sonne den massigen Schatten der Unterinspektorin Victoria Arrozales auf den Fußboden des Lokals. Während sie über die Schwelle trat, kleidete ich mich eiligst an, ohne den Hut zu vergessen, und bot ihr dann, mit Zeichen der Unterwürfigkeit und einem Gestammel, das die Begegnung auf die kürzestmögliche Dauer reduzieren sollte, schleunigst einen Stuhl an.
    «Hast du mir nichts Neues zu berichten?», fragte sie mit dem üblichen Sarkasmus.
    Hinter dem herausfordernden Blick, der angeberischen Haltung und dem hochnäsigen Gebaren nahm ich eine fast schon an Verzweiflung grenzende Unsicherheit wahr. Aus diesem Grund war sie gekommen.
    «Sie meinen den Mann von dem Foto? Ich hab es Ihnen gestern schon gesagt: Ich habe ihn noch nie in meinem Leben gesehen. Und heute hat sich meine Haltung nicht geändert. Ich hoffe auch, ihn nie zu Gesicht zu bekommen. Er ist ein gefährlicher Terrorist. Darauf hätten Sie mich hinweisen können.»
    Sie nahm die Pistole vom Steiß, legte sie auf die Konsole neben eine verhaarte Bürste, eine stumpfe Schere und einen zahnlosen Kamm und ließ sich in den Sessel fallen. Als sie ihr Spiegelbild erblickte, runzelte sie die Stirn. Auch die Polizei bleibt von Hitze und Müdigkeit nicht ungeschoren.
    «Wie ich sehe, hast du deine Hausaufgaben gemacht», seufzte sie in einem etwas freundschaftlicheren Ton. «Ich habe auch nichts anderes von dir erwartet. Und da du jetzt weißt, worum es geht, werde ich dir die Fakten erzählen. Wir haben Grund zur Annahme, dass Alí Aarón Pilila kürzlich in Spanien war und vorhat, nach Barcelona zu kommen. Natürlich – wenn einer in dieser Jahreszeit in Barcelona ist, ist er entweder ein armer Teufel, oder aber er heckt was aus.»
    «Fahren Sie nicht weiter fort, bitte», sagte ich, bevor sie mich in den Kreis ihrer Mitarbeiter einschlösse, «ich würde Ihnen helfen, wenn ich könnte, doch in diesem Fall kann ich nicht.»
    «Du könntest schon, wenn du wolltest», unterbrach sie mich rhetorisch. Dann fügte sie sogleich hinzu: «Vor etwa zehn Tagen hat uns die französische Polizei mitgeteilt, dass Alí Aarón Pilila die Grenze überschritten hat. Unter falschem Namen und mit falschem Pass ist er in einem Luxushotel an der Costa

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