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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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gar nicht erst umlegen. Finde ich jedenfalls.»
    «Ach, mein lieber Freund», rief der Dandy Morgan, «am Herd verliert man die Komplexität der menschlichen Seele aus den Augen.»
    «Aha – und können Sie mir vielleicht mal sagen, was die zu melden haben, die ihr Leben wie versteinert auf einem Podest zubringen», sagte Señor Armengol herausfordernd.
    Wieder sorgte ich für Ordnung.
    «Es ist nicht einfach, mit einem Häftling verheiratet zu sein. Und schon gar nicht für eine so attraktive Frau wie die von Romulus dem Schönen. Ihr hättet sie sehen sollen, wenn sie ihn im Sanatorium besuchen kam …»
    «Du hast einfach ein Faible für dieses Flittchen», sagte der Juli.
    «Macht sie nicht runter, nur weil sie klasse aussieht, verdammt», sagte die Moski. «Wenn eine nicht hässlich wie die Zarin ist, sagen die Männer gleich, sie ist eine dumme Pute oder eine Nutte. Nur, um nicht bezahlen zu müssen. Ich zum Beispiel, mit ein paar Kilo weniger, wenn ich mich anmalen würde und nicht so ehrlich wäre wie ein Stern am Firmament, Saturn etwa, ich könnte verdammt gut leben und müsste nicht den ganzen beschissenen Tag lang dieses verdammte Möbel rumschleppen, das mir die Halswirbel zu Mehl macht.»
    «Also ich beharre auf meinem Syllogismus», beharrte Señor Armengol. «Ich sehe einfach keinen Grund für die ganze Debatte und all die Hirnakrobatik. Wenn heute, in unserer neoliberalen Gesellschaft, eine Frau zu einem andern gehen will, geht sie eben; der Richter gewährt ihr die Scheidung, und der Mann soll blechen und den Schnabel halten. Und wenn du maulst, kriegst du ein Armband verpasst wie eine Schwuchtel. Zum Glück hab ich einen Freund in einer Reparaturwerkstatt, der mir meins abgenommen hat. Meiner Ansicht nach seid ihr ein wenig rückständig, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen.»
    «Nein, guter Mann», sagte der Dandy Morgan und ergriff die Initiative. «Wir sind einfach Ganoven und haben einen sehr strengen Kodex. Und Sie, tragen Sie schon das Essen auf, statt Ihre Nase in Dinge zu stecken, die Sie nichts angehen – wer hier ein weiches Ei kochen kann, redet über alles so, als wäre er das Bulli in Person.»
    Brummelnd entfernte sich der Wirt in die Küche, und wir kehrten zu unserem Thema zurück. Bei der Nachspeise fasste ich im Sinn eines Protokolls das Besprochene zusammen und zog daraus folgende Schlüsse:
    «Dieser Gedankenaustausch war sehr nützlich, und ich danke euch allen für eure Beiträge. Kein einziger ist auf taube Ohren gestoßen, das kann ich euch versichern. Zwar scheint es, wenn wir Bilanz ziehen, als wären wir nicht weitergekommen, und sehr wahrscheinlich sind wir auch nicht weitergekommen. Möglicherweise haben wir sogar Rückschritte gemacht, beides schwer zu entscheiden, wenn man weder den Ausgangspunkt noch das letzte Ziel unseres Weges kennt. Aber auch das Gegenteil ist möglich, nämlich dass wir weitergekommen sind, ohne es zu merken. Zwar stimmt es, dass weiterkommen, ohne zu merken, dass man weiterkommt, dasselbe ist wie nicht weiterkommen, wenigstens für den, der weiterkommt oder weiterkommen will. Von außen gesehen, ist es anders. Trotzdem hege ich die Hoffnung, dass uns dieses Weiterkommen, ob wirklich oder eingebildet, in Kürze zur definitiven Lösung führt oder wenigstens zum Anfang eines weiteren Weiterkommens. Bis dahin haben wir eines getan: den Finger ins Wespennest gesteckt. Wer steckt denn absichtlich den Finger ins Wespennest?, werdet ihr mich fragen. Zweifellos nur ein Dummkopf. Aber das mit dem Wespennest habe ich im übertragenen Sinn gemeint. Und nun werde ich mehrere Möglichkeiten analysieren.»
    Ich machte eine Pause, um die Wirkung meiner Worte auf die Zuhörer abzuschätzen. Der Dandy Morgan war eingeschlafen, er war schließlich schon älter und der Tag lang gewesen. Die Moski war in die Küche gegangen, um ihren Wortwechsel mit dem Wirt fortzusetzen, wie man aus dem Tellerzerscherben schließen konnte. Der Juli betrachtete aufmerksam eine einsame Banane auf einer Anrichte, aber da die Albinos rote und damit wenig ausdrucksvolle Augen haben, konnte er ebenso gut einfach geistesabwesend sein. Angesichts dieses Panoramas und um Speichel zu sparen, legte ich die Schlussfolgerungen nur im Stillen dar.
    Zuerst einmal durfte ich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass Romulus ermordet worden war, und zwar von dem Paar, das aus seiner Frau, in diesem Fall seiner Witwe, und dem Swami, mutmaßlichem Geliebten von ersterer, bestand. Das

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