Der Friseur und die Kanzlerin
vorlauten Göre. Die beiden füllten ihm den Kopf mit Flausen. Ich weiß nicht genau, welcher Art ihre Beziehung ist. Wäre es doch eine bloße Liebelei gewesen. Wie auch immer, sie trieben ihn an den Rand des Abgrunds. Einmal mehr plante er den perfekten Überfall auf eine Bankfiliale mit einem Idioten namens Johnny Pox und dem vorhersehbaren Ergebnis. Wieder wurde er verurteilt, und das erträgt Romulus in seinem Alter nicht mehr. Eines schönen Tages, vor kurzem, ist er verschwunden. Anfänglich vermutete ich, er sei in ein Land gegangen, wo man ihn nicht ausliefern würde. Manchmal redete er vom Auswandern nach Brasilien, manchmal war es Indien oder Patagonien. Das waren zwar bloß Hirngespinste, aber immer schloss er mich mit ein. Er fragte mich, ob ich bereit wäre, ihn zu begleiten und in einem exotischen Land ein neues Leben anzufangen, und ich bejahte und sagte, ich würde ihm überallhin folgen. Romulus glaubte mir. Nie zweifelte er daran, dass er auf mich zählen könne. Zu Beginn war es für mich gefährlich gewesen, mit ihm zusammen zu sein, und während seiner Haft hatte ich ihm meine Treue und Beharrlichkeit mehr als deutlich bewiesen. Darum wunderte ich mich, dass er allein floh und ohne mich vorzuwarnen. Ich wartete einige Tage darauf, zuerst, dass er mich zu sich rufen, dann, dass er mir sagen würde, wo er sich aufhielt. Wenn er wohlauf war, kostete es ihn doch nichts, mir eine beruhigende Nachricht zukommen zu lassen. Doch sein Schweigen wurde nur von deinem unheilvollen Erscheinen zur Unzeit unterbrochen. Dein Besuch und deine plumpen Fragen bestätigten mir, dass Romulus’ Verschwinden merkwürdig war. Ich log, um ihn zu schützen. Dann kam die Unterinspektorin und zeigte mir das Foto eines höchst gefährlichen Typen. Wieder sagte ich nichts. In Wirklichkeit weiß ich auch gar nichts. Ich habe Angst. Nicht wegen dem, was Romulus angestellt haben könnte, und auch nicht davor, dass er mit dieser Frau abgehauen ist, sondern vor etwas Schlimmerem. Wenn du etwas weißt, sag es mir bitte. Mir wäre Gewissheit lieber als bange Ungewissheit.»
Diese Geschichte erzählte mir Lavinia Torrada im Salon, und ich hörte ihr aufmerksam zu, denn sie bestätigte meine Folgerungen und öffnete den Mutmaßungen Tür und Tor. Noch immer galt es, wichtige Rätsel zu lösen. Ich hütete mich zu sagen, dass es ausgerechnet Quesito, die Tochter der Frau, der sie Romulus’ Verschwinden zuschrieb, gewesen war, die mich mit dessen Suche beauftragt hatte. Hingegen fragte ich:
«Hat der Swami eigentlich einen Mitarbeiter?»
«Nein», antwortete sie bestimmt. «Diese Art der Tätigkeit hängt stark von der persönlichen Beziehung ab.»
«Jesus Christus hatte Jünger, die ihn ab und zu vertraten.»
«Das waren andere Zeiten. Der Swami arbeitet allein, nur mit einer Empfangsdame. Was soll die Frage?»
«Einer meiner Gehilfen sagt, er habe einen echten Swami aus dem Fenster des Yogazentrums schauen sehen. Einen Inder mit Bart und allem, was dazugehört.»
«Der muss eine Vision gehabt haben.»
«Möglicherweise. Die Arbeit, die dir der Swami verschafft hat, waren das Hausbesuche als Masseurin?»
«Nein, wo denkst du hin. Wenn ich als Masseurin von Haus zu Haus ginge, wäre der Teufel los. Nein, die Arbeit, die mir der Swami verschafft hat und die ich noch immer ausübe, sind Hausbesuche als Seherin. Das ist eine mühelose, interessante und mehr oder weniger lukrative Arbeit. Und niemand wagt es, die Grenzen zu überschreiten bei jemandem, der die Zukunft sehen kann.»
«Und siehst du tatsächlich etwas?»
«Ach was. Sähe ich was, wäre nichts von dem geschehen, was ich dir eben erzählt habe. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, den Menschen zuzuhören, ihre Probleme zu verstehen und Symptome dessen zu entdecken, was unvermeidlich geschehen wird. So kann ich, ohne Tarotkarten zu legen, das Schicksal dieses Salons voraussehen.»
«Das will ich lieber nicht wissen. Was hast du in deiner Tasche, wenn du arbeiten gehst?»
«Das Instrumentarium: Briefe, eine Plexiglaskugel, Drogerieartikel, Kerzen, Weihrauch, einen Schal, falls es kühl wird. Und wenn gerade einer auf dem Weg liegt, gehe ich noch in den Supermarkt und kaufe ein. Am Ende bin ich beladen wie ein …»
Unversehens verstummte sie, und ihr Gesicht verzog sich zu einer tragischen Maske. Ich dachte, sie hätte im Supermarkt etwas einzukaufen vergessen, aber der Grund für ihre Verwandlung war ein ganz anderer.
«Durch die Macht der Gewohnheit», sagte
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