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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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sie mit hohler Stimme, «bin ich, als ich von der Arbeit sprach, in Trance gefallen und habe eine Botschaft erhalten: Romulus ist gestorben. Eines gewaltsamen Todes. Durch fremde Hand. Jetzt streift seine Seele untröstlich zwischen der Welt der Lebenden und dem Jenseits hin und her. Sie weiß nicht, soll sie hinübergehen oder bleiben, wo sie war, und versucht, mit uns in Kontakt zu treten.»
    Ihre Pose und ihre Worte kamen mir vor wie eine Pantomime, aber ich konnte mich einer vagen Beunruhigung nicht entziehen, als gäbe es auf dem Grund dieser Täuschung einen Überrest Intuition oder unbewusstes Wissen, das sich auf diesem Weg zu offenbaren versuchte. Ich wollte etwas sagen, doch sie gebot Schweigen, indem sie sich den Zeigefinger an die Lippen hielt, diese zu einer graziösen Grimasse kräuselte und kaum wahrnehmbar hauchte:
    «Pscht! Gleich höre ich ein Zeichen …»
    Im Salon herrschte Grabesstille. Sogar die verdammten Fliegen schienen in der warmen, dicken, feuchten und ein wenig stinkenden Luft dieses Hundstagemorgens stillzustehen. Und in diesem prekären Gleichgewicht hörte man eine raue Stimme wie aus dem Jenseits singen:
    «Baixant de la Font del Gat – Vom Katzenbrunnen herunterkommend!»
    Zerbrechlich, schief und zeremoniös trat im Schlepptau dieser populären Strophe Großvater Lin ein.
    «Entschuldigen Sie Störung.» Er verbeugte sich so tief, dass er mit der Stirn die Knie berührte. «Diese Woche muss ich für Intensivkurs Katalanisch Volkslieder üben.»
    «Keine Sorge, Opa», sagte Lavinia Torrada wieder in ihrer normalen Art. «Ich wollte eben gehen.»
    «Ich glaube, Sie kennen sich schon.» Ich war etwas verärgert über die Störung, kam aber meinen Gastgeberpflichten nach.
    «Ja, ich hatte große Ehre, vorgestellt zu werden. An Ihnen geht Zeit spurlos vorbei.»
    «Das ist ganz natürlich», antwortete sie. «Wir wurden einander vorgestern vorgestellt.»
    «Ach, Sie sind jung, aber in meinem Alter verfliegt Zeit wie Rakete im Hintern. Ich ziehe mich zurück. Ich wollte eigentlich nur fragen, ob Sie gestern Abend Essen über Gasse gefunden haben.»
    «Ja, ich habe es gefunden und gekostet», sagte ich. «Ich wollte nachher bei Ihnen vorbeikommen, um mich zu bedanken und Sie zu bitten, sich meinetwegen keine solchen Umstände zu machen.»
    «Oh, kein Umstand. Heute Mittagessen um selbe Zeit wie immer. Bleiben Sie nicht aus. Meine ehrwürdige Schwiegertochter wäre enttäuscht, wenn Sie nicht kämen. Auf Wiedersehen, ehrwürdige Dame. Wie schade, dass ich nicht mehr Alter habe, um an Ihnen zu graben. Organ noch da, aber verschwunden Orkan. Möchten Sie nicht auch zu uns essen kommen, Señora?»
    «Ein andermal sehr gern», antwortete Lavinia. «Ein Freund wartet schon ziemlich lange auf mich, und wir haben viel zu tun. Ich hoffe, dass sich nach allem Besprochenen», sagte sie zu mir, «eine flüssigere, aufrichtigere Kommunikation ergibt. Und weniger bedrückend für andere. Du weißt ja, wo du mich finden kannst.»
    Eingehüllt in eine Aureole ätherischer Schönheit und solider Würde, versetzte sie beim Gehen mit den Hüften die dicke Luft in Bewegung und ließ uns in einem nervenaufreibenden Wohlgeruch zurück.
    «Zermartern Sie sich nicht weiter Kopf», sagte der scharfsinnige Greis, als er meinen Zustand bemerkte. «Alles hat seine Zeit und seinen Ort, und keines ist der da. Machen Sie es wie ich: Nutzen Sie Vorteile von Alter.»
    «Ich bin nicht alt», protestierte ich.
    «Üben Sie. Geheimnis für sehr alt werden heißt früh alt werden. Mit Alter kommt Ruhe: Keine Orkane mehr, keine Besuche in Hutläden mehr.»

10
EIN VORSCHLAG UND EINE DEBATTE
    Kaum dass der freundliche, ungelegen erschienene Alte gegangen war, erschien die Moski mit ihrem Rieseninstrument, um mich über Lavinia Torradas Bewegungen zu unterrichten. Die Information war bedeutungslos, da ich ja bestens wusste, wo sie sich an diesem Vormittag aufgehalten hatte. Aber ich ließ sie reden.
    «Der Typ mit dem Peugeot 206 hat sie hergefahren», sagte sie am Ende ihrer detailreichen Schilderung, «und er hat auf sie gewartet, um sie wieder nach Hause zu fahren. Dort überwacht Genosse Bielski sie. Das mit dem Auto ist sehr lästig, ich kann ihr ja nicht folgen, weil ich unmotorisiert bin. Zum Glück ist mir in den Sinn gekommen, den Sohn einer Freundin als Subbeauftragten anzuheuern, einen absolut vertrauenswürdigen Burschen, Pizzabote, er hat ein Motorrad, und vormittags liegt er auf der faulen Haut. Heute Abend kommt

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