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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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er in einer Pause im Restaurant vorbei. So lernst du ihn kennen.»
    «Okay», sagte ich, «aber gib Señor Armengol Bescheid, ich habe nämlich auch noch einen Kellner ins Restaurant bestellt. Anscheinend hat er einige Fotos, die zum Fall gehören. Dumm ist bloß, dass ich nicht weiß, wie ich ihm zahlen soll, was er dafür verlangt.»
    Zwischen Moskis Abgang und fünf vor zwei zählte ich die Minuten, die mich noch vom Mittagessen trennten. Keine bereichernde Tätigkeit, weder unter intellektuellem noch sonst einem Gesichtspunkt, aber sie lenkte mich von meiner Dauermisere ab, dem Geld. Blank zu sein störte mich nicht weiter, das war mein Dauerzustand, aber ich war es nicht gewohnt, Schulden zu haben oder den Haushaltsplan für die Zukunft auf ständiger Talfahrt zu veranschlagen. Meine Finanzlage war desaströs: Abgesehen vom Kredit der Caixa, den ich selbst von Zeit zu Zeit, das genannte Unternehmen aber keinen Augenblick vergaß, hatte ich Schulden bei meinem Schwager und bei Señor Lin; die Restaurantrechnung schwoll an, ebenso die zu zahlenden Gehälter, und an diesem Abend sollte ich dem kellnernden Filmfreak für die Übergabe der Fotos sechzig Euro zahlen. Etwas in mir sträubte sich, wieder bei Señor Lin anzuklopfen, nicht weil es ihm an Liquidität gefehlt hätte, wie man aus dem ununterbrochenen Kommen und Gehen im Warenhaus schließen konnte, sondern um seine Großzügigkeit nicht zu missbrauchen. Umso mehr, als ich die Gewissheit hatte, die Darlehen nie zurückzahlen zu können, es sei denn durch eine unerwartete Wendung des Schicksalsrads, dessen Räderwerk weder sanft noch lebhaft zu funktionieren schien. Doch es blieb mir nichts anderes übrig, und die Aussicht, erneut meine Wohltäter anzupumpen, trübte zuerst die Erwartung des Gastmahls und dann dieses selbst.
    Während der ganzen Mahlzeit lauerte ich auf eine Gelegenheit, das Thema sozusagen schräg anzuschneiden, aber es war unmöglich. Angesichts dessen beschloss ich, das Ende des Zusammenseins abzuwarten, um Señor Lin beiseitezunehmen und ihm reinen Wein einzuschenken. Doch siehe da, beim Nachtisch brachte er in Gegenwart der ganzen Familie das Thema selbst zur Sprache, indem er sich mit folgenden Worten an mich wandte:
    «Ehrwürdiger Gast, Nachbar und Freund. Es ist kein Geheimnis für Sie, welche Zuneigung Ihnen diese bescheidene Familie entgegenbringt, eine Zuneigung, die ich für gegenseitig halte. Sie brauchen nicht zu antworten. Das ist erst der Anfang meiner Rede. Jetzt kommt das Wesentliche. Seit geraumer Zeit beobachten wir, wie Ihr großer Damensalon läuft. Nicht aus geschäftlicher Rivalität noch um unsere bescheidenen Nasen in Ihre ehrwürdigen Geschäfte zu stecken, sondern angetrieben von der gerade erwähnten Zuneigung. Es wird Sie nicht überraschen, zu erfahren, dass uns das Ergebnis unserer Beobachtungen keinen Anlass gegeben hat, auf die ehrwürdige Zukunft Ihres großen Salons zu bauen.»
    Er räusperte sich, und ich hätte die Pause genutzt, um mich für sein Interesse zu bedanken und seine Schlussfolgerungen zu widerlegen, wenn mir nicht Señora Lin, die neben mir saß, heimlich die Hand auf den Unterarm gelegt hätte mit dem klaren Hinweis, ich möge nichts sagen und ihren Mann ausreden lassen, der, nachdem er sich geräuspert und gehustet oder, wer weiß, eine Strophe in seiner Sprache intoniert hatte, fortfuhr:
    «Die Schuld liegt nicht bei Ihnen, im Gegenteil. Sie sind ein großer Friseur. Die Schuld liegt bei der katastrophalen Wirtschaftslage. Unter diesen Umständen kann ich nicht umhin, die große Maxime auszusprechen: Wenn der Sturm weht, neigt sich die Dschunke und so weiter und so fort. Sehen Sie, worauf ich hinauswill, ehrwürdiger Freund?»
    «Nein», antwortete ich aufrichtig. Und um einem möglichen Angebot zuvorzukommen, fügte ich hinzu: «Ich muss Sie aber darauf aufmerksam machen, dass ich bereits einen Kredit der Caixa habe.»
    «Ich weiß», sagte Señor Lin mit wohlwollendem Lächeln. «Der Leiter der großen Filiale, der ehrwürdige Señor Riera, dessen bescheidene Kunden wir sind, wie es seine ehrwürdige Gattin, die Señora Riera, von diesem bescheidenen Warenhaus ist, wo sie uns damit ehrt, sich mit großen Höschen und anderen ehrwürdigen Kleidungsstücken auszustatten, der ehrwürdige Señor Riera, wie ich sagte, hat mir oft, immer in indirektesten, indisk…, ich meine, diskretesten Worten, die finanzielle Lage Ihres ehrwürdigen Unternehmens kommentiert, wobei er unter großer

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