Der Friseur und die Kanzlerin
ab. Ein scharfer Geruch erfüllte den kleinen Raum. Ich verbrachte Stunden in unsäglicher Angst, befürchtete, entdeckt zu werden, und getraute mich nicht, den Sack zu öffnen, um seinen makabren Inhalt nicht zu sehen. Aber keinen Moment lang kam es mir in den Sinn, die Polizei zu rufen. Bei Arbeitsschluss gingen die Mechaniker, und ich sagte, dass ich noch zu arbeiten hätte. Als ich allein war und der Raum im Dunkeln lag, näherte sich mit höchster Vorsicht Romulus. Ich hätte ihn am liebsten geohrfeigt, doch stattdessen warf ich mich in seine Arme und machte der angestauten Spannung mit heftigem Schluchzen Luft. Er streichelte mich, versicherte mir, die Gefahr sei vorüber und jetzt sei es wichtig, den Sack loszuwerden. Wir schleppten ihn hinaus. Auf dem Gehsteig stand ein Lieferwagen. Wir bugsierten den Sack in den Laderaum, fuhren los und hielten erst auf einem Stück Brachland an einer verlassenen, kaum beleuchteten Nebenstraße an. Es wehte ein feuchter Wind, und der Himmel war bedeckt. Romulus stieg aus und ich hinterher. Er öffnete die Hecktür und zerrte am Sack, der mit dem unheimlichen Geräusch zerbrechender Knochen zu Boden fiel. Der Gestank war jetzt unerträglich. Ich musste mich übermenschlich anstrengen, um mich nicht zu übergeben und das Bewusstsein zu verlieren. Romulus holte Hacke und Schaufel aus dem Lieferwagen, schlüpfte aus der Lederjacke, krempelte sich die Ärmel hoch und begann zu graben. Ich hielt es nicht länger aus und fragte ihn, was denn geschehen sei. Ich hatte gerade mein Schicksal mit dem eines Verbrechers vereinigt, und das sollte er wissen. Er hielt inne und sah mich an. Er musste in meinen Augen etwas lesen, einen festen Entschluss, zärtlich und wild, und zuckte die Achseln, als wolle er mir zu verstehen geben, dass das meine Entscheidung sei. Dann sagte er, das Vorgefallene sei die Folge eines verhängnisvollen Irrtums gewesen, einer Unwägbarkeit. Er habe alles millimetergenau geplant, doch im letzten Moment sei etwas schiefgegangen, presste er hervor. Vor vollendete Tatsachen gestellt, sei ihm nichts anderes übriggeblieben, als zu reagieren, wie es an seiner Stelle jedermann getan hätte, sosehr es ihm auch widerstrebt habe. Ach, wie oft habe ich im Laufe unseres gemeinsamen Lebens diese unheilschwangeren Entschuldigungen hören müssen!»
Geschehen war, in wenigen Worten zusammengefasst, Folgendes: Nach sorgfältiger Planung des Coups wollte Romulus der Schöne im Moment des geringsten Kundenaufkommens, versehen mit Gesichtsmaske, Sack und Pistole, im Alleingang einen reichbestückten Juwelierladen auf dem Paseo de Gracia überfallen. Als der günstigste Moment gekommen war, setzte er sich auf dem gegenüberliegenden Gehsteig, um von den Überwachungskameras nicht eingefangen zu werden, die Maske auf, packte die Pistole und überquerte so schnell wie möglich die Straße. Es ist nicht leicht, den Paseo de Gracia zu überqueren, ohne überfahren zu werden, aber er schaffte es, indem er den Autos mal in der einen, dann in der anderen Richtung auswich. Danach trat er in den Laden und rief: Das ist ein Überfall! Schreien Sie nicht, und leisten Sie keinen Widerstand! Schon beim zweiten Satz hatte er bemerkt, dass er wegen des starken Verkehrs und des Zickzacklaufs in das Geschäft neben dem Juwelierladen eingedrungen war, in die angesehene Rotisserie Filipon, spezialisiert auf vorgekochte Speisen und Fertiggerichte. Sich den Irrtum einzugestehen und mit leeren Händen wieder abzuziehen schien ihm entwürdigend, sowohl für sich selbst als auch für die Opfer des Überfalls, so dass er dem Angestellten befahl, den Sack mit den Brathähnchen zu füllen. Als er voll war, warf er ihn sich über die Schulter und lief davon. Er hörte Schreie hinter sich und sah aus dem Augenwinkel den Angestellten, der ihn mit einem beeindruckenden Messer verfolgte. Romulus riss sich die Gesichtsmaske ab, bog in eine Seitenstraße ein und konnte so seinen Verfolger momentan in die Irre führen. Doch in einer so belebten Zone konnte er nicht einfach eine Ladung Brathähnchen auf den Gehweg werfen, ohne Verdacht zu erregen. Die Werkstatt, wo Lavinia Torrada arbeitete, war ganz in der Nähe, und so schlug er diese Richtung ein.
«Nachdem er die Hähnchen vergraben hatte», fuhr Lavinia fort, «getraute sich Romulus nicht nach Hause, falls man ihn erkannt hatte und nun suchte. Wir gingen zu mir, und da blieb er. Damit meine ich, dass an diesem Punkt unser Zusammenleben begann. Ich hatte nicht
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