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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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beschloss ich, methodisch weiterzuarbeiten, und darein war ich vertieft, als mich ein leichtes Geräusch auffahren ließ, und die unerwartete Erscheinung einer menschlichen Silhouette im Türrahmen warf mich beinahe vom Stuhl. Von meinem Schrecken erholt, sah ich empört, dass es Quesito war. Halblaut beschimpfte ich sie.
    «Hab ich dir nicht gesagt, du sollst unten auf mich warten? Hier einzudringen ist nicht nur gefährlich, sondern illegal. Hausfriedensbruch. Dafür könnte man dir sechs Jahre in einer Besserungsanstalt aufbrummen.»
    «Ich bitte um Verzeihung», sagte sie. «Aber da Sie so lange weggeblieben sind, dachte ich, es könnte Ihnen etwas zugestoßen sein, und so bin ich heraufgekommen, um zu sehen …»
    Bei diesem Solidaritäts- und Mutbeweis verflog meine Verärgerung. Das verbesserte aber nicht unsere Lage und die Schwere unserer strafbaren Handlung. Ich schob die Schublade zu und sagte:
    «Gehen wir. Man soll das Schicksal nicht herausfordern, und hier gibt’s nichts von Interesse.»
    «Und das da unterm Tisch, was ist das?», fragte sie. Ich schaute hin und erblickte einen Körper in Fötalstellung. Abgelenkt von den Schubladen, hatte ich nicht bemerkt, dass meine Füße nicht auf einem gepolsterten harten Sitzkissen, sondern auf einer gepolsterten harten Leiche ruhten.
    «Das ist ein Toter, nicht wahr?», fragte sie mit leicht zitternder Stimme.
    «So unterm Tisch und in dieser Haltung lässt sich nicht leicht eine Diagnose stellen», sagte ich, während ich Sitz und Schemel räumte und auf die andere Seite des Schreibtischs ging. «Vorerst holen wir ihn einmal da raus. Ich fasse ihn am einen Schuh, du am anderen, und auf drei ziehen wir.»
    Quesito war alles andere als zimperlich und erfüllte den makabren Auftrag effizient und kaltblütig. Mit vereinten Kräften konnten wir ihn aus seinem Pferch befreien und auf den Rücken legen – nicht ganz mühelos, denn der Unglückliche war ziemlich schwer und zwischen den Tischbeinen und der Schubladenhalterung so präzise eingekeilt, dass wir beim Ziehen zuerst die Schuhe und danach, als wir ihn an den Knöcheln fassten, die Socken in den Händen hielten. Die Lampe beschien die schlaffen Züge des Swami. Er war weder kalt, noch schien ihn die Totenstarre im Griff zu haben, doch seine Haut war ungesund wachsfarben, er atmete nicht und gab auch sonst kein Lebenszeichen von sich.
    «Wir sollten Mund-zu-Mund-Beatmung machen», schlug Quesito vor. «Einmal ist ein Polizeibeamter in die Schule gekommen und hat es mit uns allen gemacht, wegen der Hilfeleistung auf der Straße. Soll ich’s mal versuchen?»
    Schaden konnte die Behandlung keinem der beiden, und so stimmte ich zu. Sie kniete neben der Leiche nieder, näherte ihr Gesicht dem des Swami, und bevor sie ihre Lippen auf die seinen drückte, rief sie:
    «Er hat was im Mund!»
    Ich kauerte mich neben ihr nieder, fasste ihn an Nase und Kinn, so dass der Ermordete die Kiefer öffnen musste. Vorsichtig zog Quesito eine mittelgroße Papierkugel heraus, die sich in ihrer entfalteten Form als Doppelseite der Vanguardia entpuppte, ganz von einer Werbung für den Sommerschlussverkauf des Warenhauses Corte Inglés eingenommen. Daran schien er erstickt zu sein, doch da keine Anzeichen von Gewalt festzustellen waren, musste die Aktion vom Opfer selbst ausgegangen sein. Als läse sie meine Gedanken, sagte Quesito:
    «Vielleicht ist es Selbstmord. Einmal hat sich in der Schule ein Lehrer aus Protest gegen das Erziehungsmodell selbst verbrannt. Der Schulleiter hat die Gelegenheit genutzt, um uns den Krieg von Vietnam gegen Katalonien nahezubringen.»
    «Ich sehe keine andere Erklärung, aber es ist merkwürdig, sich mit einer Corte-Inglés-Werbung umzubringen. Vielleicht hat er ein perverses Ritual durchgeführt.»
    Quesito hatte den Swami noch einmal untersucht und unterbrach meine Mutmaßungen:
    «Ich würde sagen, er beginnt wieder zu atmen.» Tatsächlich entfuhr dem von der Verstopfung befreiten Hals des Swami ein gurgelndes Röcheln. «Wir müssen einen Krankenwagen rufen.»
    «Nein. Die Sanitäter würden die Polizei benachrichtigen. Das ist nicht das, was wir brauchen. Und wenn wir anrufen und abhauen, bevor die Ambulanz kommt, werden wir nie erfahren, was geschehen ist. Natürlich können wir auch nicht unendlich warten, bis es ihm passt, wieder zu sich zu kommen. Vielleicht liegt er im Koma. Und er ist zu schwer, um ihn gemeinsam wegzutragen. Ich weiß nicht, was wir tun sollen.»
    Während ich

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