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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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Trinken und danach ans Schlafen. Was ist, so frage ich mich, aus diesen beherzten Vorsätzen geworden?»
    Alle blickten zuerst mich und dann, sowie sie den Sinn des Vorwurfs erfasst hatten, den Dandy Morgan an, der, stillschweigend zum Gruppensprecher erkoren, sagte:
    «Was sollen wir denn sonst tun? Der Typ mit den Fotos hat uns sitzenlassen. Wir können nur auf morgen warten, vielleicht kommt er ja dann.»
    «Morgen ist es zu spät», antwortete ich. «Man tut etwas, oder man tut es nicht. Alles andere sind Ausreden. Am Anfang des Treffens hat uns der Juli mitgeteilt, er habe den Swami mit dem Bart wieder gesehen. Dann sind wir abgeschweift, sicherlich durch meine Schuld, aber jetzt müssen wir auf dieses Rätsel zurückkommen und es zu lösen versuchen. Dafür will ich noch heute Abend ins Yogazentrum eindringen und herausfinden, was da vor sich geht.»
    Während ich sprach, fragte ich mich, ob mein Vorschlag dem aufrichtigen Wunsch entsprang, die Identität des geheimnisvollen Mannes kennenzulernen, oder eher dem Wunsch, die seit dem verunglückten Beginn des Abends etwas angeschlagene Führungsrolle wieder zu übernehmen. Aber da ich in den Gesichtern meiner Zuhörer die von meinem Vorschlag hervorgerufene Bewunderung sah, hielt ich ihrem Blick und der Herausforderung stand.
    «Zu dieser Zeit wird niemand im Zentrum sein», sagte der Juli, der sich für das Unterthema Swami zuständig fühlte. «Man wird die Tür aufbrechen müssen.»
    «Oder mit einem kräftigen Tritt aus den Angeln sprengen», sagte die Moski, «wie zu Zeiten des Genossen Beria.»
    «Und wenn doch jemand da ist?», meinte der Juli. «Zum Beispiel mein Swami.»
    «Dann überwältigen wir ihn mit Karateschlägen», sagte der Pizzabote.
    Der Dandy Morgan bat ums Wort.
    «Ich in meinem Alter und in dieser Aufmachung fühle mich dazu nicht befähigt», sagte er mit hauchdünner Stimme. «Sollte ich über die Dächer fliehen müssen, verfolgt von ein paar Ninjas …»
    «Und ich», fügte der Juli hinzu, «bin nicht sehr behände, und nachts sehe ich rein gar nichts. Außerdem, falls man uns schnappt, ich habe keine Aufenthaltserlaubnis.»
    «Ich mache mit», sagte die Moski. «Ich habe eine Bewilligung für befristete Erwerbstätigkeit. Kann ich das Akkordeon im Restaurant lassen?»
    Señor Armengol winkte ab: Das Haus übernehme keine Verantwortung für in der Garderobe deponierte Artikel, und überdies wolle er sich der Expedition anschließen. Am Ende sah ich mich genötigt, die Gemüter zu beruhigen.
    «Dies ist kein Picknick», sagte ich. «Wie der Juli sehr richtig sagt, wissen wir nicht, wer oder was sich unter der scheinbar harmlosen Oberfläche des Zentrums verbirgt. Es wäre unklug und schädlich, wenn der ganze Haufen hinginge. Ich werde allein gehen mit einem Freiwilligen, der Wache steht, während ich meine Nachforschungen anstelle. Die Moski darf mich begleiten. Die anderen können schlafen gehen. Morgen werde ich euch berichten, was sich ergeben hat.»
    Der Vorschlag wurde erleichtert aufgenommen. Die Moski stand auf, ergriff das Akkordeon, und wir gingen zur Tür. Vor dem Hinausgehen fragte ich, ob jemand eine Taschenlampe habe. Da das nicht der Fall war, bat ich Señor Armengol um eine Schachtel Streichhölzer, unerlässlich für nächtliche Nachforschungen, und wir brachen auf. Draußen gesellte sich Quesito zu uns.
    «Lassen Sie mich mitgehen», sagte sie. «Ich bin gut im Schlösserknacken.»
    Das stimmte, und die Umstände ließen es nicht ratsam erscheinen, eine Fähigkeit wie diese zu verschmähen. Nicht ohne Zaudern und Gewissensbisse erlaubte ich ihr, uns zu begleiten, aber nur bis zur Tür. Während wir uns darüber unterhielten, kam der Pizzabote heraus.
    «Das lasse ich mir nicht entgehen», sagte er. «Ich habe ein Motorrad, und in der Kiste können wir die Beute transportieren.»
    «Im Moment kannst du das Akkordeon mit dem Motorrad mitnehmen», sagte ich.
    Zügigen Schrittes die Fußgänger und nach eigenem Gutdünken der Motorradfahrer, gelangten wir in die Nähe des Yogazentrums, als es zu tröpfeln begann. Geschützt unter einem Balkon stehend, bat Quesito die Moski um eine Haarnadel, bog sie gerade, krümmte eine Spitze und öffnete dann mit diesem Ding problemlos die Eingangstür – zur Verwunderung von Mahnelik und zum Stolz der Moski, die ich murmeln hörte: «Das ist mein Mädchen!»
    Als wir ins Haus traten, setzte gerade ein neuer Regenguss ein. Das Wasser trommelte auf das Oberlicht und hallte im

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