Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
Vom Netzwerk:
SICH
    Es war erst Mittagessenszeit, als ich endlich im Damensalon war, doch die vorangegangenen Stunden waren so gedrängt voll und intensiv gewesen, dass ich mich müde fühlte wie nach einem mühseligen langen Arbeitstag. Da es immer noch sehr heiß war, zog ich mich aus und setzte mich auf den Stuhl, um ein erholsames Nickerchen zu machen. Nach einigen Sekunden stand ich wieder auf und schlüpfte in den Kittel – ganz sicher würde ich sehr bald Besuch bekommen, also sah ich besser einigermaßen präsentabel aus. Ich setzte mich wieder hin und lehnte den Kopf zurück, konnte aber nicht einschlafen. Teils, weil mich der Tod von Großvater Lin betrübte, an dessen immer unerwartete kecke Besuche ich mich allmählich gewöhnt hatte und dessen Ableben mir erst jetzt, nachdem der ganze Wirbel vorüber war, so richtig zu Bewusstsein kam. Und teils wegen eines anderen, weniger fassbaren beunruhigenden Gefühls.
    Als es Abend wurde, kam die Moski, stellte das Akkordeon auf den Boden und schnaubte eine Weile, bis sich ihr heftiger Atem beruhigte.
    «Verdammt», sagte sie einleitend, «das Wachestehen liegt mir nicht. Weil es langweilig ist, meine ich. Nachspionieren schon: In meinem Land habe ich Krethi und Plethi denunziert und mich königlich dabei amüsiert. Aber hinter einem Baum versteckt, die Stunden vorüberziehen zu sehen, das mag ich nicht. Ich habe einen ungezähmten Charakter, wie man so sagt. Straßenkünstlerin. Als ich in Kuba war, hat Fidel zu mir gesagt: Meine Liebe, du platzt ja vor Neugier!»
    Aus ihrem Wortschwall schloss ich, dass sie mir unangenehme Nachrichten brachte. Wir unterhielten uns eine Weile, ich bedankte mich bei ihr und sagte, sie könne nun wieder gehen.
    «Soll ich dich nicht begleiten?», fragte sie, während sie das Akkordeon wieder hochhob.
    «Das ist wirklich nicht nötig. Du hast schon eine ganze Menge für mich getan. Ihr alle habt eine Menge für mich getan, und ich werde euch nie bezahlen können, was ich euch schulde. Ich werde euch nicht einmal eine Erklärung für das, was geschehen ist, geben und das Ende der Geschichte erzählen können.»
    Wir verabschiedeten uns knapp, um keine Sentimentalität aufkommen zu lassen, die Moski ging, und nach einer Weile verließ ich den Salon, um persönlich die letzten Kontrollen durchzuführen.
    ***
    Es liegt in der Natur der plötzlichen, Ende August in Barcelona überaus häufigen Gewittergüsse, dass sie den Fußgänger unvorbereitet erwischen und bis auf die Haut durchnässen. So geschah es mir an jenem Abend, und um den an sich schon jämmerlichen Zustand meiner Kleider und Schuhe nicht noch zu verschlimmern, rannte ich zum Dicken Rindviech ins Trockene. Ich bestellte ein Glas Leitungswasser und setzte mich auf einen Hocker an der Theke, von wo aus ich auf die Straße hinaussehen konnte, während ich so tat, als studierte ich das spärliche Angebot der Karte. Das Gesicht des Kellners war schwarz, da er sich andauernd mit dem Gläsertuch den Schweiß trocknete. Er schien vom Fernseher hypnotisiert zu sein.
    «Wetten, dass Sie nicht wissen, wie ich das Fernsehen nenne», sagte er unversehens. Und ohne mir Zeit zu lassen, das Rätsel zu lösen oder eine klärende Frage zu stellen, fügte er hinzu: «Die Glotze.»
    «Donnerwetter, so viel Witz ist schwer zu überbieten», antwortete ich.
    «Tatsächlich. Die Bezeichnung habe ich selbst erfunden, ohne Hilfe von niemandem. Ich lasse sie aber nicht patentieren, weil ich finde, das Denken soll ungehindert zirkulieren, wie im Internet. Und was das Fernsehen betrifft, passen Sie auf, was ich Ihnen sage: darauf könnte man verzichten, ohne die universelle Kultur zu schmälern. Wissen Sie, wie ich es nenne, das Fernsehen?»
    «Die Glotze.»
    «Wer hat Ihnen das gesagt?»
    «Sie.»
    «Da schau her, Sie haben vielleicht ein gutes Gedächtnis. Und sehr recht haben Sie auch. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, als Beispiel. Vor einer Stunde ist im Fernsehen in der Tagesschau Señora Merkel gekommen. Der Bürgermeister hat sie zum zweiten Mal im Rathaus empfangen, jetzt hinter verschlossenen Türen, damit sie nicht noch mal erschossen werden. Merkwürdige Meldung. Und während ich den Bericht sah, dachte ich und sagte wie zu mir selbst: Das ist doch der Hammer! Und als ich das sagte, ohne es zu sagen, nur im Hirn gedacht, Sie verstehen schon, merke ich, dass der Protokollchef, der den Bürgermeister begleitet, genau gleich aussieht, aber gleich, haargenau gleich wie dieser Trottel, der da genau vor

Weitere Kostenlose Bücher