Der Friseur und die Kanzlerin
miteinander verbunden waren.»
Diese innigen Sätze vertieften meinen Kummer noch und verdoppelten die Lautstärke meines Geplärrs, das so lange andauerte, bis mich eine Person, deren Anwesenheit ich noch nicht bemerkt hatte, mit Zuneigung am Arm fasste und murmelte:
«Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Kommen und Ihre Schmerzensbekundungen, die ich für ein wenig übertrieben halte. Doch er wäre entzückt gewesen zu sehen, wie sehr Sie ihn geschätzt haben.»
Im herrschenden Halbdunkel und bei meiner tränenverschleierten Sicht erkannte ich nur schwer Señor Lin und in einiger Entfernung und in stiller Einkehr Señora Lin und den kleinen Quim. Da wurde mir klar, dass die Aufbahrung, der wir beiwohnten, nicht die Cándidas war, sondern die von Großvater Lin, der an diesem Vormittag vom Zustand eines unnützen Trödelstücks in den des ehrwürdigen Vorfahren übergetreten war, und ich weinte gleich noch etwas mehr, um die Familie des Dahingeschiedenen nicht zu enttäuschen, und fragte dann, ob Cándida noch am Leben sei.
«Ich weiß nicht, wer Cándida ist», antwortete Sugrañes jr. «Heute Morgen ist uns bloß dieser alte Knacker weggestorben. Und eingeliefert wurden nur der Herr Bürgermeister, von dessen Genesung wir Zeugen gewesen sind, sowie Señora Merkel, ihr Begleiter und der Protokollchef der Stadtverwaltung. Glücklicherweise hat sich niemand mehr auf dem Balkon befunden, als das Attentat verübt wurde. Frau Merkel wurde von der Druckwelle des Schusses erfasst, so dass sie mitten auf dem Platz auf die Schnauze fiel, doch ihr aufwändiges Festkleid und der Trainingsanzug, den sie darunter trug, haben den Aufprall gedämpft. Sie hat Brüche an Knochen, deren Namen ich mir nie habe merken können, und vermutlich Hirnverletzungen, denn bei ihrer Einlieferung hat sie geschworen, ihrem Bruder die Zähne auszuschlagen. Sie wird bald wieder auf dem Damm sein. Und ihr Begleiter noch eher: er hat nur leichte Quetschungen erlitten. Während der Erste-Hilfe-Maßnahmen beklagte er den Verlust des Kleides der Königin von Portugal. Auf traumatische Ereignisse reagieren die Menschen merkwürdig, wie Dr. Marañón sagen würde. Nehmen wir ein Beispiel aus jüngster Zeit: Vorgestern wurde hier ein junger Mann eingeliefert, der einen Motorradunfall gehabt hatte und unbedingt eine Pizzaschachtel in den OP mitnehmen wollte. Ich musste sie ihm mit Gewalt entreißen. Und dann habe ich die Pizzareste gegessen, die sich noch in der Schachtel befanden – ich bringe es nicht übers Herz, Speisen in den Müll zu werfen.»
Wir freuten uns sehr, Cándida, den Dandy Morgan und Mahnelik lebend und fast unversehrt zu wissen, eine unerwartete Wendung der Ereignisse, die einen Schlusspunkt unter den Hauptteil unseres Unterfangens setzte. Es war also der Moment gekommen, uns von Angela Merkel zu verabschieden. Sie begriff die Notwendigkeit der Trennung und stellte ihre Charakterfestigkeit unter Beweis, die ihr auch erlaubte, den Bundestag zur Vernunft zu bringen.
«Noch einmal auf Wiedersehen, Manolito», sagte sie und konnte ein wehmütiges Tremolo nicht unterdrücken, weil nicht sein durfte, was hätte sein können. «Entführ mich nicht wieder. Dein Platz ist hier, und das ist gut so.»
Ohne meine Reaktion abzuwarten, ergriff sie die Hand des Swami, der weinerlich das Gesicht verzog, drückte der Familie Lin ihr Beileid aus, hakte den jovialen Mediziner unter, und die beiden traten durch die Tür des Aufbahrungsraums ab. Es wäre scheinheilig, wenn ich verschwiege, dass mich ihr Gehen eher erleichterte als bekümmerte.
Es blieb uns nichts Weiteres zu tun, als so diskret aus dem Krankenhaus zu verschwinden, wie wir eingetreten waren, und dazu bot uns die bevorstehende Bestattung von Großvater Lin eine ideale Gelegenheit. Wir fassten den Sarg bei den Griffen und legten in betrübter Prozession wieder den ganzen Weg zurück, bis wir in die Vorhalle und von dort auf die Straße gelangten, wo uns die Demonstranten mit einer Standarte hochleben ließen, auf der stand:
HOCH DER BESTATTUNGSDIENST
Nachdem wir den Sarg im Auto deponiert hatten, verabschiedete ich mich von der Familie des Verstorbenen und sagte Señor Lin, es wäre nun angezeigt, die Demonstration aufzulösen, da es dafür keine Notwendigkeit mehr gebe, worauf er antwortete, er habe sie für vierundzwanzig Stunden angeheuert, und wenn jemand nicht bis zur letzten Minute arbeite, gedenke er ihm den vertraglich zugesagten Napf Reis nicht zu zahlen.
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DIE WEGE TREFFEN
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