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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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dem Lokal die lebende Statue gespielt hat, auf dem Platz da. Und ich sage mir: Das ist doch der Hammer!»
    «Ja», sagte ich, «das ist ein ungewöhnliches Phänomen. Und beweist unwiderlegbar Ihre Theorie.»
    «Das nenne ich Parapsychologie in Reinkultur», fügte er hinzu und deutete mit dem Zeigefinger auf den kleinen Platz hinaus. «Schauen Sie, da gegenüber hat der Typ gestanden, tagtäglich, und hat mit keiner Wimper gezuckt. Und weil ich ihn andauernd gesehen habe, hat sich mir seine Gestalt eingeprägt, und jetzt habe ich schon Visionen und sehe ihn im Fernsehen. Das ist doch der Hammer!»
    Ich nickte nur und schaute an den entsprechenden Ort. Da es immer noch in Strömen regnete, erkannte ich dort, wo der Dandy Morgan seinen Beobachtungsposten eingerichtet hatte, nur undeutlich eine vom strömenden Regen verwaschene Gestalt mit eingezogenen Schultern.
    Sie tat mir leid. Da die Decken der paar fürs Abendessen vorbereiteten Tische aus Wachstuch waren, nahm ich eine, bedeckte mich damit und ging mit den Worten hinaus:
    «Ich geb sie Ihnen gleich zurück! Und dazu noch sauber!»
    Zwischen Pfützen und Sturzbächen hüpfend, gelangte ich auf den Platz und rief:
    «Du willst dir wohl eine Lungenentzündung holen? Komm hier drunter, und wir gehen in die Kneipe!»
    Sie gehorchte wortlos, und ein paar Sekunden später waren wir unter dem schützenden Dach. Quesito zitterte. Ich legte ihr nahe, sich auf der Toilette abzutrocknen. Für den Fall, dass es dort nichts gab, womit sie das tun konnte, bat ich den Kellner um einen Lappen. Er war ein guter Mensch und lieh uns ein Handtuch. Ich wartete an der Theke. Als Quesito zurückkam, fragte ich sie, ob sie gegessen habe, und sie schüttelte den Kopf. Ich sagte, wenn sie wolle, könne sie ein Magnum bestellen, und wieder verneinte sie. Nach einer Weile fragte sie:
    «Wie haben Sie gewusst, dass ich da sein würde?»
    «Ich habe es nicht gewusst. Eigentlich bin ich dasselbe suchen gekommen wie du. Darum haben wir uns getroffen. Aber ich habe schon vermutet, du würdest hier herumstreichen. Bevor wir alle zum Flughafen gefahren sind, habe ich die Moski zum Wachestehen geschickt. Ich wollte wissen, was geschähe, wenn nicht mehr der Dandy Morgan da wäre. Vor einer Weile ist sie gekommen und hat mir Bericht erstattet.»
    Es trat Schweigen ein, und Quesito schaute in alle Richtungen außer in meine. Dann sagte sie:
    «Alles ist meine Schuld, nicht wahr?»
    «Das ist nicht der Moment, um über diese Dinge zu reden. Du bist klatschnass und kannst dich erkälten. Geh nach Hause, dann nimmst du eine Dusche, schlüpfst in den Pyjama und legst dich ins Bett. Und morgen gegen ein Uhr mittags kommt du im Salon vorbei, und wir werden uns aussprechen. Bis dahin erzähl niemandem etwas, und ich werde es auch nicht tun.»
    Ich schaute hinaus – zum Glück hatte es aufgehört zu regnen, wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Ich erbot mich, sie zu begleiten, was sie kategorisch, fast gereizt ausschlug. Wortlos nahm sie ihre kleine Tasche und ging.
    Ich blieb noch zwei Stunden im Lokal, nicht weil irgendetwas geschehen würde, sondern weil ich nicht so früh nach Hause gehen mochte. Zwar konsumierte ich nichts, aber da sonst niemand da war, ließ mich der Kellner bleiben, um jemanden zu haben, vor dem er seine Gedanken zum Fernsehen, zur Politik, zum Motorrad-Grand-Prix, zu den Frauen und ähnlichen Themen darlegen konnte. Da es ihm nicht einfiel, während seines Selbstgesprächs die Glotze auszuschalten, lenkte ich mich damit ab, dass ich mir bis zur letzten Nachrichtensendung alles anschaute, was eben so kam. Wieder wurden die Bilder von Angela Merkel im Rathaus gezeigt, und erfreut stellte ich fest, dass der Dandy Morgan, wie der Kellner gesagt hatte, den Protokollchef ersetzt hatte, der vermutlich beim Attentat an diesem Vormittag ums Leben gekommen war. Ich nahm an, der Dandy habe in einem unbewachten Augenblick im Krankenhaus die Papiere und die Kleider des Verstorbenen an sich genommen. Bei seiner unbrauchbar gewordenen Statuentracht war es nur logisch, dass er sich ein neues Tätigkeitsfeld gesucht hatte, und dieses passte wegen seiner Geduld und seiner Einseifungserfahrung zu ihm wie die Faust aufs Auge.

16
ÜBERRASCHUNG
    Früh am nächsten Morgen ging ich ins Klinikum, um mich nach Cándidas Befinden zu erkundigen. Nach Anerkennung der Verwandtschaftsbeziehung sagte mir ein Arzt, die fragliche Patientin befinde sich ab und zu außer Lebensgefahr, die an ihr vorgenommenen

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