Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)
nachdrücklich hat er darum gebeten, die ohrenbetäubenden Arbeitsgeräte erst später anzuschmeißen. Ohne Erfolg. »Die machen das mit Absicht«, bekannte er einmal, als ich ihn danach gefragt habe, »weil sie es hassen, dass andere noch faul im Bett liegen!«
Warum bloß haben sich die Bauarbeiter eigentlich immer noch nicht mit uns zusammengeschlossen und die Internationale der Langschläfer gegründet? Keiner sollte gezwungen sein, früh aufzustehen, auch Bauarbeiter nicht – zumal sie die Macht haben, gegen ihre Arbeitszeiten lautstark zu protestieren. Aber sie fügen sich dem frühmorgendlichen Arbeitsbeginn.
Stattdessen verstärkt sich der Eindruck, dass es eine Internationale der frühen Vögel gibt. Selbst in Hotels, die sich mit fünf Sternen brüsten und ihre betuchten Gäste mit einem »Langschläfer-Büffet« locken und bis weit nach Mittag sogar noch frischgebackene »Langschläfer-Brötchen« anbieten, findet man Personal, das nichts Besseres zu tun hat, als ausgerechnet vor den Türen, an denen ein »Bitte nicht stören«-Schild hängt, bis in die letzten Winkel Staub zu saugen und dabei mehrere Male mit Karacho den Saugkopf gegen die Zimmertür zu rumsen. Oder unvermittelt ins Zimmer zu platzen und in die erschrockenen Augenpaare aus dem Schlaf gerissener Gäste zu blicken.
Man denke auch an die lieben Nachbarn. Genaugenommen an jene, die das Schließen der Wohnungstür, das Klimpern des Schlüsselbundes und die Schritte auf der Treppe gerade am Morgen mit einer Aggressivität ausführen, die über einen stillen Vorwurf weit hinaus geht. Abends hingegen herrscht lahmes Schleichen und behutsames Rascheln, so dass man sich oft fragt: Sind die eigentlich im Urlaub? Nur der geleerte Briefkasten weist darauf hin, dass hier anscheinend nicht nur gewohnt, sondern auch gelebt wird.
Es ist bemerkenswert: Während abends schon eine Minute nach zehn Uhr die Polizei wegen nächtlicher Ruhestörung alarmiert wird, nur weil auf dem gegenüberliegenden Balkon ein verliebtes Pärchen mit Kristallgläsern auf seine neue Liebe anstößt, fühlt sich frühmorgens die ganze Welt dazu berufen, mit aggressivem Gestus kundzutun, dass sie bereits wach ist und die Volkswirtschaft ankurbelt.
Aber mit welchem Recht tut sie das? Und was wirft man uns Langschläfern eigentlich vor?
Wer jemanden als »Langschläfer« bezeichnet, drückt damit aus, dieser Mensch sei faul, träge, lasch, lahm, antriebslos, bequem, schlaff, matt, schwerfällig, ohne Energie, Elan und Vitalität, dumpf, teilnahmslos, phlegmatisch, er verpenne den halben Tag und liege, wenn nicht dem eigenen Vater, so doch dem Vater Staat auf der Tasche. Der Langschläfer macht sich in den Augen der bettflüchtigen Tugendwächter ein schönes Leben auf Kosten anderer, träumt in den Tag hinein, während andere arbeiten, und schert sich einen Dreck um das Wohl der Gemeinschaft. Nicht zufällig wird das Wort »Langschläfer« gerne mit Begriffen wie »Faulpelz«, »Taugenichts« oder »Tunichtgut« assoziiert. Ein Langschläfer gilt quasi als asozial.
Schlimmen Gerüchten kann der so Bescholtene nur wenig entgegensetzen. Denn wer lang schläft, ist grundsätzlich der Böse im Gerangel um sozialen Status, seine Straftat ist offensichtlich und seine Schuld bewiesen, bevor er überhaupt erwacht ist. Denn wer lange schläft, ist für viele Drückeberger und Sozialkrimineller in einem. Sein Vergehen ist die Weigerung, sich dem Zeitdiktat der Prosperität zu fügen und denen, die es befolgen, die Sinnlosigkeit ihres Handelns vor Augen zu führen. Angelehnt an das Motto »Die Ehrlichen sind die Dummen«, fühlen sich die Frühaufsteher für dumm erklärt, weil sie früh aufstehen, und rächen sich auf ihre Weise: mit Vorverurteilungen, Anfeindungen und Lärm.
Dabei gibt es für solche Attacken gar keinen Grund. Denn für jemanden, für den es üblich ist, früh aufzustehen, ist dies gar keine herausragende Leistung. Im Gegenteil, es ist für ihn völlig normal und gehört zu seinem Lebensstil. Frühes Aufstehen ist also nur für Langschläfer eine Großtat, denn es widerspricht ihrer Natur.
Nur einmal im Jahr haben auch die Frühaufsteher wenigstens etwas Verständnis für die missliche Lage ihrer morgenmüden Mitmenschen. Dann nämlich, wenn es um zwei Uhr nachts am letzten Sonntag im März heißt: »Beim nächsten Ton ist es drei Uhr, null Minuten und null Sekunden.« Zu Beginn der Sommerzeit schleichen selbst frühfrische Lerchen hundemüde zur Arbeit, versuchen
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